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Grundschrift in der
Kritik
Elternbrief
Nr. 24
(März
2016)
Die
Abschaffung der
verbundenen Schreibschrift
Es geht um mehr
als
nur um die Entsorgung eines Kulturguts
J. Günter Jansen
In
WELT AM SONNTAG vom 15.02.2015 empörte sich Wilfried Bos, Leiter der
Internationalen Grundschul-Leseuntersuchung Iglu und Professor am
Institut für Schulentwicklungsforschung der Technischen Universität
Dortmund, darüber, dass Lehrerinnen und Lehrer sich zunehmend für die Grundschrift, eine Variante
der
Druckschrift, entscheiden und
leichtfertig die Schreibschrift aufgeben, ohne dass es empirische Belege über die Auswirkungen gibt:
"Ehrlich gesagt, regt es mich
ziemlich auf, dass wir didaktische Entscheidungen, die möglicherweise
von großer Bedeutung für das spätere Leben vieler Kinder sind, ohne
ausreichende empirische Grundlage treffen." Er kritisierte, dass ein
neues Grippe-Medikament unendlich viel schwerer auf den Markt zu
bringen sei als ein neuer Leselehrgang. Das sei ganz typisch,
so
Bos weiter und griff unmissverständlich
die hierzulande praktizierte
Bildungspolitik an: "Beispielsweise gibt es bundesweit etwa 70
unterschiedliche Programme zur Leseförderung. Sieben oder acht davon
sind evaluiert, wenige in einem wissenschaftlich haltbaren Sinn. Zu
häufig werden in der Bildungspolitik Dinge getan, von denen wir
überhaupt nicht wissen, was für Auswirkungen sie haben. Ist das in
Ordnung?" Dennoch, alles deutet darauf hin, dass es auch dieses Mal
wieder gelingen könnte, ohne jegliche empirische Grundlage eine neue
Ausgangsschrift in die Grundschulen zu lancieren: die Grundschrift,
eine "handgeschriebene Druckschrift". Das sog. pädagogische Konzept
sieht
vor, dass sich
daraus jedes Kind
individuell, selbstgesteuert und selbstbestimmt, seine persönliche
Handschrift entwickeln soll.
Seit Jahren schon haben
einflussreiche Fachlobbyisten in den Kultus-/Schulministerien diese
Idee, die sich auf keinerlei seriöse wissenschaftliche Untersuchungen
berufen kann, vorbereitet. Ganz zurecht können sie sich sogar darauf
berufen,
dass dieses
Ziel,
Grundschülerinnen und -schüler sollten sich aus der
Druckschrift heraus ihre
persönliche Handschrift selber entwickeln (Land
NRW:
Richtlinien/Lehrpläne für die Grundschule. 2003), schon
lange in den Lehr-, Bildungs- und Rahmenplänen der
verschiedenen Bundesländer verankert sei. Vorneweg dabei sind wieder
einmal der Grundschulverband sowie altbekannte Reformeiferer, die schon
in den 1980er Jahren in vorderster Reihe für die Abschaffung der
Lateinischen
Ausgangsschrift sowie der Schulausgangsschrift und für die Einführung
der Vereinfachten Ausgangsschrift gekämpft haben. Ute Andresen (von
1967 bis 1992 Unterrichtstätigkeit in bayerischen
Schulen,
Tätigkeit als Praktikumslehrerin an der Ludwig-Maximilians-Universität
München, von 1992 bis
2005 Lehrtätigkeit in
Grundschulpädagogik an der Pädagogischen Hochschule, dann
Hochschullehrerin an der
Universität Erfurt) schrieb dazu in der TAZ vom 09.02.2011: "Jetzt hat
wieder eine kleine Einflussgruppe - Horst Bartnitzky, Ulrich Hecker,
Erika Brinkmann, Hans Brügelmann - im selben Stall wie seinerzeit den
Plan für eine neue Schrift ausgeheckt. Nur ist diesmal alles viel
gefährlicher: Denn der Arbeitskreis Grundschule heißt inzwischen
Grundschulverband - und ist eine mächtige Lobby geworden. Sein Vorstand
hat jetzt Zugang zu allen entscheidenden Instanzen in den 16
Kultusministerien, kann auf Referenten und Lehrpläne einwirken und will
offenbar versuchen, gleich die ganze Kultusministerkonferenz für die
neue Schrift - werbewirksam 'Grundschrift' - für alle zu
begeistern." Ihre Sorge ist wohl tatsächlich berechtigt.
I.
Blick zurück im Zorn:
Die Einführung der Vereinfachten
Ausgangsschrift
Bereits
in den frühen 80er Jahren waren Eltern, viele Lehrerinnen und Lehrer
wie auch wissenschaftlich hochqualifizierte sowie redlich denkende und
arbeitende Grundschuldidaktiker entsetzt, als ohne jegliche seriöse
empirische Belege die Vereinfachte Ausgangsschrift in die Grundschulen
lanciert wurde. Sie sollte die bis dahin praktizierte Schulschrift,
also die Lateinische Ausgangsschrift,
ersetzen.
Da,
wo Schreibschrift
heute noch einen Platz im Unterricht findet, ist es zumeist die VA, die
Vereinfachte Ausgangsschrift, die gelehrt wird. Sie hat schon vor rund
30 Jahren die bis dahin übliche Lateinische Ausgangsschrift verdrängt.
Die Vereinfachte Ausgangsschrift hat die Lateinische Ausgangsschrift
(LA) als Grundlage und orientiert sich zusätzlich an der Druckschrift.
Tatsächlich wurde indes die VA nicht etwa zum Wohle von Kindern aus
pädagogisch-didaktischen Überlegungen heraus erfunden: Die Buchstaben
der VA waren wohlkalkuliert so gestaltetet, dass sie - im Gegensatz zur
Lateinischen Ausgangsschrift – sich nun auch in Maschinenschrift
aneinander reihen ließen. Die Entwicklung der VA kam also zuvorderst
merkantilen Interessen nach. Darüber hinaus: Die
Lehr-/Lernmittelautoren sahen sich vor neuen Aufgabenstellungen, die
Verlage ersetzten ihre Lehrbücher und Arbeitsmaterialien nun durch
solche in der neuen Schrift. Zu zahlen hatten dafür die
Eltern
und, bei Lernmittelfreiheit, die Kommunen. Nie ist hinterfragt worden,
ob und wie die eifrigen Erfinder und Befürworter der Vereinfachten
Ausgangsschrift für ihre Dienste im Sinne der Bildungsindustrie
entlohnt wurden.
Dass die Einführung der VA in höchstem
Maße
kinderfeindlich war, sollte
sich schon bald zeigen. Wie von vielen Fachleuten vorausgesagt, nahm
die Qualität der Handschriften bald ab, die Entwicklung der
Handschriften war geradezu ein Desaster, das bis heute insbesondere
Lehrerinnen und Lehrer an weiterführenden Schulen sowie Eltern
gleichermaßen beklagen.
Hinsichtlich der Vereinfachten
Ausgangsschrift gab es seinerzeit lediglich zwei Untersuchungen, die
allerdings der Erfinder dieser Schrift, Heinrich Grünewald, auch noch
selber
durchführte. Er selber übernahm auch das Geschäft, seine Arbeiten
der nach Innovationen gierenden Reformpädagogik und der
auf weiteres Wachstum erpichten Bildungsindustrie als empirische
Arbeiten mit wegweisenden Erkenntnissen für den Schreibunterricht in
der Grundschule medienwirksam
zu präsentieren. Die
Bildungsindustrie durfte
triumphieren, denn die meisten progressiven Gruppierungen im Bereich
von Pädagogik und Schule, vornweg der Grundschulverband und der
Reformpädagoge Hans Brügelmann, setzten schon bald alles daran, die VA
in die Schulen zu lancieren: In etlichen Bundesländern wurden die
Lehrerinnen und Lehrer zu ihrer Einführung verpflichtet. Heute ist die
VA die am meisten verbreitete Schulausgangsschrift.
Nachhaltig
beeindruckt
wurde
niemand, als Prof. Wilhelm Topsch in seinem Buch 'Das Ende einer
Legende' (Die
Vereinfachte
Ausgangsschrift auf dem
Prüfstand.
Donauwörth 1996.) in
akribisch
wissenschaftlicher
Manier nachwies, dass die Untersuchungsergebnisse des H. Grünewald von
einer enorm hohen Anzahl
an Manipulationen,
Täuschungen und Irreführungen geprägt waren: Bei
wohlwollender Zählung kommt man auf mehr als 250 Verstöße gegen
wissenschaftliches Arbeiten:
kalkulierte und wohldurchdachte Falschaussagen, empirisch nicht belegte Behauptungen, falsch interpretierte Untersuchungsergebnisse, Fälschungen von Aussagen - selbst in Zitaten, Erfindungen, Uminterpretationen von Ergebnissen, Verschweigen von Tatsachen, sprachliche Manipulationen, wissenschaftsfernes, unhaltbares und fragwürdiges Forschungsdesign.
Genau auf
diese Manipulationen,
Täuschungen und Irreführungen des H. Grünewald
lassen sich die Verweise all
derjenigen zurückführen, die seinerzeit ihre Lobeshymnen auf
die
VA verbreiteten, darunter nicht wenige Fachwissenschaftler.
Insbesondere
der Grundschulverband (vordem 'Arbeitskreis Grundschule') war es, der
in den 80er Jahren die VA in die Schulen lancierte. Neben anderen, die
sich in besonderem Maße der Reformpädagogik verbunden fühlten, war es
auch Prof. Dr. Hans Brügelmann, der - immer schon als
Funktionsträger im Grundschulverband tätig - damals besonders vehement
kämpfend die Einführung der VA in die Grundschulen betrieb. (Mehr
zu Prof. Dr. Brügelmann in Elternbrief Nr. 13/
http://www.grundschulservice.de/ Elternbrief%20Nr.%2013.htm, Kapitel
XIX) In der Grundschule wurde
diese Neuerung wieder
einmal
als 'Innovation' gefeiert, obschon weder Brügelmann noch andere
Befürworter eine seriöse Argumentation zur Begründung dieser
'Innovation' vorgetragen hatten.
Unschlagbar sollten die Vorteile der
Vereinfachten
Ausgangsschrift gegenüber der Lateinischen Ausgangsschrift sein:
bessere Rechtschreibleistungen
bessere Lesbarkeit
höheres Schreibtempo
geringere Schriftverformung
besondere Eignung für Linkshänder
besondere Eignung für leistungsschwächere Kinder, da die VA leichter erlernbar sei.
In
seinem Buch 'Das Ende
einer Legende' (Prof.
Dr. Wilhelm Topsch: Das Ende
einer Legende, Die Vereinfachte Ausgangsschrift auf dem Prüfstand.
Donauwörth 1996.) wies Wilhelm Topsch nach, dass
Inkompetenz und spezielle
Ausprägungen von Kreativität die Eltern dieser Behauptungen
waren. Nie gab es empirische Belege oder irgendwelche
Anzeichen
dafür, dass man Kindern mit der Einführung der Vereinfachten
Ausgangsschrift würde helfen können. Immer wieder wies Topsch in
seiner Arbeit mit konkreten Daten darauf hin, dass die präsentierten
Belege, die die Überlegenheit der Vereinfachten Ausgangsschrift
beweisen
sollten, z. B. falsch, nicht beweiskräftig oder manipuliert waren.
(ebd.)
Es kann
hier nicht auf die
unglaublich vielen Belege für Inkompetenz sowie auf die Vielzahl von
Manipulationen und Falschaussagen eingegangen werden, dennoch sollen
einige Beispiele einen Eindruck von den skandalösen Vorgängen um
die Einführung
der Vereinfachten Ausgangsschrift vermitteln: In einem Brief
an die
Kultusminister aller Länder schrieb der Arbeitskreis
Grundschule/Grundschulverband 1981:
"... die pädagogische Zielsetzung des Arbeitskreises Grundschule e. V. [ist] darauf gerichtet, längerfristig durch die Abschaffung der Lateinischen und die Einführung der Vereinfachten Ausgangsschrift einen Beitrag zum Ausgleich sozial bedingter unterschiedlicher Schul- und Berufschancen zu leisten." (ebd., Fußnote 2 Seite 14: Arbeitskreis Grundschule: Brief an die Kultusminister der Länder und Stadtstaaten. In: Grundschule. Braunschweig, 13. Jg. (1981) H 2, 50-51.)
Ebd.
sprach der
Arbeitskreis
Grundschule von einer "breiten und gesicherten Grundlage", auf die sich
das Bestreben nach Abschaffung der Lateinischen und die Einführung der
Vereinfachten Ausgangsschrift bezöge. (ebd., Fußnote 7 Seite 18:
Arbeitskreis
Grundschule: Offener Brief an die Kultusminister der Länder und
Stadtstaaten. In: Grundschule. Braunschweig, 13. Jg. (1981) H 2,
50-51.)
Obschon in Fachkreisen längst bekannt war, dass es keine anderen Untersuchungen gegeben hatte als die eigenen des Heinrich Grünewald, des Erfinders der Vereinfachten Ausgangsschrift, formulierte 1986 der bereits oben genannte Reformpädagoge Prof. H. Brügelmann, seit vielen Jahren als Mitglied richtungweisend im Arbeitskreis Grundschule/Grundschulverband tätig:
"Die VA hat inzwischen rund 15 Jahre praktischer Erfahrung und kontrollierter empirischer Erprobung vorzuweisen". (Prof. Hans Brügelmann: Kinder auf dem Weg zur Schrift. Konstanz 1986.)
Darüber hinaus wies Brügelmann
(ebd.)
auf Befunde hin, die allesamt
lediglich auf
Grünewald zurückzuführen waren, von Topsch jedoch nach akribischer
Untersuchung als falsch/fehlerhaft, irreführend oder nicht belegt
zurückgewiesen werden mussten.
In aufwendigen
Werbekampagnen wurde seinerzeit über Jahre hinweg von dem Netzwerk der Befürworter der
Vereinfachten Ausgangsschrift - dabei die medialen
Möglichkeiten voll ausschöpfend - verkündet, die
Vereinfachte Ausgangsschrift führe zur sicheren Beherrschung der
Rechtschreibung. (In:
Prof. Dr. W.Wilhelm Topsch: Das
Ende einer Legende. Die
Vereinfachte Ausgangsschrift auf dem Prüfstand. Donauwörth 1996.)
In
seinem Buch kommt
der Erziehungswissenschaftler Prof. Dr. W. Topsch zu dem Ergebnis,
"dass es keine empirischen Belege für einen Vorsprung der Vereinfachten
Ausgangsschrift gegenüber der Lateinischen
Ausgangsschrift gibt. Das gilt insbesondere für die Frage der
Rechtschreibung. [.....] Es handelt sich um ein Gerücht, das durch eine
Verkettung von unbewiesenen Behauptungen allmählich an
Überzeugungskraft gewonnen hat."
(ebd.)
Die
Behauptung der Netzwerker, die VA erhöhe die
Rechtschreibleistungen, ist unstrittig seinerzeit das stärkste Argument
dafür gewesen, die Vereinfachte Ausgangsschrift einzuführen.
Ganz
offensichtlich war Grünewald sehr daran gelegen, einen Vorsprung der
Vereinfachten Ausgangsschrift gegenüber der Lateinischen
Ausgangsschrift nachzuweisen. Um 'Forschungsergebnisse' zu
erreichen, die sein Anliegen bestätigen könnten, nutzte er die
folgende Erkenntnis: In
zahlreichen Untersuchungen - über Jahrzehnte hinweg - wurde immer
wieder der Zusammenhang zwischen Geschlecht und Rechtschreibung
eindeutig bestätigt: Mädchen erbringen deutlich bessere Leistungen. Per
Gestaltung des Forschungsdesigns lassen sich mit diesem Vorwissen
Untersuchungsergebnisse manipulieren: Die Anzahl der Mädchen in der
Gruppe, in
der die besseren Rechtschreibleistungen erzielt werden sollten, musste
überwiegen. Entsprechend stellte Grünewald die Gruppen zusammen:
Tafel
1
Gruppe
Lateinische Ausgangsschrift |
61,8% |
Gruppe
Vereinfachte
Ausgangsschrift |
40,3%
Jungen |
Trotz
dieses Kunstgriffs
gelang es Grünewald - wie Topsch nachwies - nicht, in der
Frage
der Rechtschreibung empirische Belege für einen Vorsprung der
Vereinfachten
Ausgangsschrift gegenüber der Lateinischen
Ausgangsschrift vorzulegen. (Prof.
Dr. Wilhelm Topsch: Das
Ende einer Legende. Die
Vereinfachte Ausgangsschrift auf dem Prüfstand. Donauwörth 1996.)
Doch
was kümmerte es die sich in Nacherzählung übenden Lobbyisten!
In einem Informationsblatt
der Arbeitsgemeinschaft Schreiberziehung (AGS, Arbeitskreis
Grundschule/Grund- schulverband), war 1981 zu lesen:
"Die VA führt zu einer sicheren Beherrschung der Rechtschreibung."(ebd., Fußnote 1 Seite 13: Vereinfachte Ausgangsschrift (VA), Verantwortlich: Arbeitsgemeinschaft Schreiberziehung (AGS) im Arbeitskreis Grundschule e. V. [Informationsblatt] o. O., o. V., o. J.)
"Forschung wie Erprobung haben belegt, daß Schrifterwerb und Rechtschreibleistung in einem engen Zusammenhang stehen: Die durch die Lateinische Ausgangsschrift bedingten Schwierigkeiten beim Schreibenlernen vermindern die Rechtschreibfähigkeit."(ebd., Arbeitskreis Grundschule: Offener Brief an die Kultusminister der Länder und Stadtstaaten. In: Grundschule. Braunschweig, 13. Jg. (1981) H 2, 50-51.)
Der Reformpädagoge Brügelmann seinerzeit:
"Die LA-Schreiber machen rund 20% mehr Rechtschreibfehler als die VA-Schüler." (Prof. Hans Brügelmann: Kinder auf dem Weg zur Schrift. Konstanz 1986.)
Topsch
widerlegt
in 'Das Ende einer Legende'
detailliert
diese Angabe
von 20%, die sich schon bei Grünewald fand, und bezeichnet sie als
Verfälschung.
Von
ebenso großer Bedeutung sind die Untersuchungen der Regensburger
Sprachdidaktikerin Prof. Dr. Sigrun Richter.
In ihren
Untersuchungen kommt sie 1998 zu dem Ergebnis, dass sowohl Mädchen als
auch Jungen, die in der Lateinischen Ausgangsschrift
schreiben, deutlich bessere
Rechtschreibleistungen
erzielen als solche Kinder, die die Vereinfachte Ausgangsschrift
schreiben:
"Im Anschluss an die Veröffentlichung von Topsch (1996), der die von Grünewald (1981) festgestellten positiven Auswirkungen der Vereinfachten Ausgangsschrift auf die Rechtschreibleistung auf ein methodisches Artefakt zurückführt, wurde in zweiten bis vierten Klassen die Rechtschreibleistung von Kindern, die im Anschluss an die Druckschrift die Vereinfachte Ausgangsschrift erlernten, mit der von Kindern verglichen, die - ebenfalls im Anschluss an die Druckschrift - die Lateinische Ausgangsschrift erlernten. Die Erhebung zeigte, dass sich keine positiven Effekte der Vereinfachten Ausgangsschrift auf die Rechtschreibleistung ergaben, sondern im Gegenteil in drei der sechs Untergruppen (Geschlecht/Jahrgang) signifikant bessere Leistungen von Kindern, die die Lateinische Ausgangsschrift schreiben". (Prof. Dr. S. Richter: Mögliche Auswirkungen der gelernten Schreibschrift auf die Rechtschreibleistung. In: 7. Forschungsbericht der Universität Regensburg/Berichtszeitraum: 1994 bis 1997/Aufnahmedatum 10.05.2005)
Im 2. Schuljahr, zu einem Zeitpunkt also, zu dem sich die Kinder vermutlich noch relativ eng an der erlernten Ausgangsschrift orientierten, ergab sich sowohl für die Jungen als auch für die Mädchen eine signifikante Differenz zu Ungunsten der VA-Schreiber und zu Gunsten der LA-Schreiber. (Prof. Dr. Sigrun Richter: Was Schulschriften leisten können - und was nicht. In: Grundschule, Ausgabe Dezember, Heft 12. 1998)
Grünewald behauptete auch dies: Die Lesbarkeit schnell geschriebener VA-Schriften ist um fast 50% besser als die der LA-Schriften. (Grünewald, Schulversuch 1981b, 42). Diesen angeblich herausgefundenen Vorteil der besseren Lesbarkeit der Vereinfachten Ausgangsschrift beurteilte Topsch übrigens so:
"Es
gibt nur eine Bewertung für die Aussage: »Die Lesbarkeit schnell
geschriebener VA-Schriften ist um fast 50% besser als die der
LA-Schriften.« (Grünewald, Schulversuch 1981b, 42).
Diese Aussage ist
nicht belegt. Die Behauptung, »Die Lesbarkeit der VA-Schriften ist
um fast 50% besser« ist mit dem Hinweis 'unwissenschaftlich' kaum
adäquat einzustufen. Ihr fehlt jegliche empirische Grundlage." (Prof.
Dr. Wilhelm Topsch: Das Ende einer Legende.
Die Vereinfachte Ausgangsschrift auf dem Prüfstand. Donauwörth 1996.)
In seinen Veröffentlichungen zur Lesbarkeit der VA berichtete Grünewald seinerzeit (ebd.) "von zwei Mitgliedern einer Lehrplankommission", die die Lesbarkeit der Vereinfachten Ausgangsschrift als besser beurteilt hätten. Der Reformpädagoge Prof. H. Brügelmann fand daraufhin seine publikumswirksame Lösung, die von ihm und dem Grundschulverband beworbene Vereinfachte Ausgangsschrift ins 'rechte' Licht zu rücken:
"Die Lesbarkeit der VA wird von Lehrern auf einer 10er-Skala um einen ganzen Punkt besser beurteilt (im Schnitt 6,0 gegenüber 5,1 Punkten für die LA)." (Brügelmann in: Prof. Dr. Wilhelm Topsch: Das Ende einer Legende. Die Vereinfachte Ausgangsschrift auf dem Prüfstand. Donauwörth 1996.)
Die Wahrheit zu schreiben hätte zu Nachdenklichkeiten führen können:
Die Lesbarkeit der VA wird von zwei Lehrern auf einer 10er-Skala um einen ganzen Punkt besser beurteilt (im Schnitt 6,0 gegenüber 5,1 Punkten für die LA).
Auch hinsichtlich der behaupteten weiteren Vorteile der Vereinfachten Ausgangsschrift gelten die Ergebnisse der Untersuchungen des Prof. Dr. W.Wilhelm Topsch:
falsch, nicht gültig, nicht beweiskräftig, nicht belegt.
Im letzten Kapitel seiner schonungslosen Kritik an der Vereinfachten Ausgangsschrift tadelt Topsch das ignorante Verhalten der Fachöffentlichkeit, die sich jeglicher kritischer Diskussion entzog. Er erwähnt leider nicht, dass etliche Vertantwortliche aus diesen Kreisen, in völliger Ahnungslosigkeit, diese schulische Innovation sogar nach Kräften unterstützten. Zu den Einpeitschern vor Ort gehörten seinerzeit mit wesentlichem Anteil die Schulamtsdirektoren (vormals 'Schulräte' genannt) wie auch die an Lehrerseminaren tätigen Lehrerausbilder und Lehrerfortbildner. Topsch beschreibt ebd. (auf S. 132) in Form rhetorischer Fragen zutreffend die Effekte von Manipulation, Täuschung und Inkompetenz vor Ort, also an den Grundschulen.
"Wie viele Damen und Herren Schulamtsdirektoren mögen wohl unter Hinweis auf die »Ergebnisse einer umfangreichen empirischen Forschung«, auf »wissenschaftlich gesicherte Grundlage« und »kontrollierte empirische Erprobung« auf zögernde Lehrerinnen und Lehrer eingewirkt haben? Auf wie vielen Tausenden von Elternabenden ist den Eltern die neue Schrift mit der Verheißung, es bestünde ein »kausaler Zusammenhang zwischen Schriftart und Rechtschreibung«, schmackhaft gemacht worden? Wie oft sind die angeblich wissenschaftlich abgesicherten »schneller - leichter - erfolgreicher« -Argumente für die Vereinfachte Ausgangsschrift und gegen die Lateinische Ausgangsschrift ins Feld geführt worden?"
Wie
vielen Hunderttausenden von Kindern durch die Einführung der
Vereinfachten Ausgangsschrift Schäden zugefügt worden sind, wird wohl
ungeklärt bleiben. Immerhin klagten immer wieder Eltern sowie
Lehrerinnen
und Lehrer über zunehmend schlechte Handschriften seit der Einführung
der Vereinfachten Ausgangsschrift. Nicht anzuzweifeln ist jedenfalls
auch die
Tatsache -
in empirischen Untersuchungen festgestellt von Prof. Dr. Sigrun Richter
(s.o.!) -, dass
sich insgesamt hinsichtlich der Rechtschreibung sowohl für
die Jungen als auch für die Mädchen eine signifikante Differenz zu
Ungunsten der VA-Schreiber bzw. zu Gunsten der LA-Schreiber ergab. "Der
Fall der Vereinfachten Ausgangsschrift wird Spuren hinterlassen," so
prophezeite Prof. Dr. Wilhelm Topsch 1996 zum Schluss der Darstellung
seiner Untersuchungen. Heute wissen wir: Es sind die Spuren bei den
nicht mehr zählbaren Kindern, die gezwungen wurden, die VA zu lernen.
II.
In
der Praxis hat die VA ein Handschriften-Desaster angerichtet -
Jetzt werben die dafür
Verantwortlichen für eine neue Schrift
Es hat wohl durchaus seine Berechtigung, die für die Einführung der
Vereinfachten Ausgangsschrift Verantwortlichen auch Schuldige zu
nennen, man müsste das Handeln dieser Lobbyisten sogar für
verantwortungslos
halten. Sie machen indes weiter. Es scheint angebracht, hier noch
einmal auf die bereits oben erwähnte Hochschullehrerin Ute Andresen zu
verweisen:
"Jetzt hat wieder eine kleine Einflussgruppe - Horst Bartnitzky*, Ulrich Hecker**, Erika Brinkmann***, Hans Brügelmann**** - im selben Stall wie seinerzeit den Plan für eine neue Schrift ausgeheckt. Nur ist diesmal alles viel gefährlicher: Denn der Arbeitskreis Grundschule heißt inzwischen Grundschulverband - und ist eine mächtige Lobby geworden. Sein Vorstand hat jetzt Zugang zu allen entscheidenden Instanzen in den 16 Kultusministerien, kann auf Referenten und Lehrpläne einwirken und will offenbar versuchen, gleich die ganze Kultusministerkonferenz für die neue Schrift - werbewirksam "Grundschrift" - für alle zu begeistern." (taz 09.02.2011)
*Horst Bartnitzky, ehemals Dezernent für
Grundschule (Land NRW) ehemaliger Versitzender des Grundschulverbands, tätig als Fachreferent
im Grundschulverband
**Ulrich Hecker, seit 2004
verantwortlicher Redakteur von "Grundschule aktuell" und Fachreferent
für Öffentlichkeitsarbeit im Grundschulverband
***Prof'in. Dr. Erika Brinkmann,
stellvertretende Vorsitzende des Grundschulverbands
****Prof. Dr. rer. soc. Brügelmann,
Fachreferent für Qualitätsentwicklung im Grundschulverband
Wieder einmal, wie in den 80er Jahren, sehen
sich die Lehr-/Lernmittelautoren vor neuen
Aufgabenstellungen, die Verlage ersetzen ihre Lehrbücher und
Arbeitsmaterialien nun durch solche in der neuen Schrift. Zu zahlen
haben dafür wiederum die Eltern und, bei Lernmittelfreiheit, die
Kommunen. Und wieder wird nicht hinterfragt, ob und wie die eifrigen
Erfinder und Befürworter der jetzt neu eingeführten Grundschrift für
ihre Dienste im Sinne der Bildungsindustrie entlohnt werden.
Seit etwa 2010 wirbt bundesweit der einstige brennende Befürworter der
VA, Prof. Brügelmann, wiederum zusammen mit dem
Grundschulverband, für eine neu einzuführende Schulschrift: die
'Grundschrift'. Eines seiner wichtigsten Argumente in "GRUNDSCHRIFT -
damit Kinder besser schreiben lernen": "Die in Deutschland bisher
verwendeten Ausgangsschriften: Lateinische, Vereinfachte und Schul-
Ausgangsschrift sind historisch überholt." (http://www.bildung.uni-siegen.de/grundschule/oase/
files/brue.12.grundschrift.oase-forum.fol.121210.pdf/Veröffenlicht:
12.12.2012.
/Stand: 16.08.2015)
War nicht Brügelmann
seinerzeit einer der engagiertesten Kämpfer für die Einführung der
Vereinfachten Ausgangsschrift (VA), die zu besseren
Rechtschreibleistungen, zur besseren Lesbarkeit, zur Erhöhung des
Schreibtempos, zu geringerer Schriftverformung führen sollte? Einer
neuen Schrift mit besonderer Eignung für leistungsschwächere Kinder, da
die VA leichter erlernbar sei? Heute belegt Prof. Dr. rer. soc.
Brügelmann bei der Werbung für die Grundschrift selber mit Hilfe einer von ihm selbst ausgesuchten
Schriftprobe
den Niedergang der in der
Vereinfachten Ausgangsschrift (VA) geschriebenen Handschrift,
die schlechte
Rechtschreibung, die hohe Schriftverformung , die schlechte Lesbarkeit
:
Aus
Brügelmanns Vortrag "Grundschrift -
damit Kinder besser schreiben lernen"(12.12.2012)*:
Benedikt,
3. Klasse - geschrieben in der von Brügelmann einige Jahre zuvor
beworbenen VA
Tafel 2
(*http://www.bildung.uni-siegen.de/grundschule/oase/files/brue.12.grundschrift.oase-forum.fol.121210.pdf/Stand: 17.08.2015)
Gründe hätte
Brügelmann heute genug, sich bei den
seinerzeit zweifelnden, ratlosen und indignierten Eltern zu
entschuldigen, insbesondere aber dies zigtausendfach bei jenen Kindern,
deren Lebensbiographien durch diese Art von 'modernen Lehrmethoden'
beeinträchtigt wurden. Anstatt dessen starten 25
Jahre später der
Grundschulverband und - an vorderster Front - Prof. Hans Brügelmann die
nächste Kampagne zur Einführung einer neuen Schulschreibschrift, der
Grundschrift eben. Die Begründung dafür stellt Brügelmann am 29.6.2011 über die
Seiten des Grundschulverbands ins Netz:
"Bisher
lernen Kinder nacheinander drei Schriften. Zunächst nutzen sie die
Druckschrift, die das Lesen- und das Schreibenlernen durch ihre
deutliche Gliederung erheblich erleichtert. Die Druckschrift ist den
Kindern schon vor der Schule aus der Umwelt vertraut. Zudem entlastet
es ihre Feinmotorik, die Buchstaben aus wenigen Strichen und Bögen
zu bauen.
Danach
müssen sich die Kinder zurzeit noch eine verbundene Normschrift
aneignen, z. B. die Lateinische oder die Vereinfachte
Ausgangsschrift. Diese sieht anders aus als die Druckschrift, und sie
erfordert auch andere Bewegungsabläufe.
Ist
diese eingeübt, sollen die Schüler eine persönliche Handschrift
entwickeln. Dafür erhalten sie momentan allerdings kaum
Unterstützung durch die Schule. Wie wenig bei diesem letzten Schritt
von der Norm Ausgangsschrift übrig bleibt, kann jeder Erwachsene an
seiner eigenen Handschrift anschaulich nachprüfen.
Die
Kinder lernen also dreimal hintereinander neu zu schreiben.
Dieses Nacheinander wird mit der Grundschrift abgeschafft."
(http://www.grundschulverband.de/fileadmin/aktuell/Grundschrift/Juni.11.brue_SPIEGEL_online_11_grundschrift_handschrift_hamburg_PRO_110629.pdf/Stand:
20.01.2016)
Nur ungern mag Herr
Brügelmann sicherlich daran erinnert werden, dass er maßgeblich dafür
verantwortlich ist, dass Kinder derzeit nacheinander zwei Schriften zu schreiben lernen
müssen.
Über Jahrzehnte hinweg lernten in der alten BRD die Erstklässler nur
die eine Schrift zu schreiben:
die Lateinische
Ausgangsschrift.
Die Druckschrift war die Leseschrift. Im "Lehr- und Arbeitsplan der
Volksschule" von 1956* wurden
die Lehrerinnen/Lehrer bis ins Detail
darüber beraten, welche Ziele in jeder der vier unteren Klassen
anzustreben waren, welche Buchstabenverbindungen wann und wie zu
erlernen seien, welche
Schreibflächen und -werkzeuge für welches Schulalter sich
bewährt hatten, dass
auf die Schreibhaltung geachtet werden müsse. Dass der
Schreibunterricht nicht den Charakter von
andauernden und langweiligen Schönschreibübungen annehmen musste,
zeigen die Hinweise auf kreative Gestaltungsmöglichkeiten wie die
besondere Formung von Überschriften, den Einsatz des Geübten bei der
Gestaltung von Briefen, Karten, Schmuckblättern etc. . Als Ziel für die
4. Klasse war formuliert:
"Steigerung der Schreibleistungen und des Tempos auf etwa 18
Silben/Min. unter gleichzeitiger Verschönerung der Formen. Persönliche
Wahlformen der Buchstaben können gestattet werden, wenn sie dem Ziele
dienen."
Für die Klassen 5 und 6 war
laut Lehrplan vorgesehen, die Druckschrift
zu erlernen, in Klasse 5 die "kleine Blockschrift", in Klasse 6 die
"große Blockschrift". Die Verfasser des Lehr- und
Arbeitsplans hielten es für notwendig, auch darauf hinzuweisen: "Diese Schrift wird nicht
flüssig »geschrieben«, sondern gemalt." Über
das Fazit musste seinerzeit nicht diskutiert werden: Die in den Schulen
gelehrte verbundene Schreibschrift war die Schreibschrift, die nicht flüssig
geschriebene Schrift, die Druckschrift
also, war die Leseschrift.
Das wurde beispielsweise in der DDR so praktiziert, in Frankreich
und in Ländern mit europäischer Lese- und Schreibkultur ist das
ebenfalls auch weiterhin die geübte Praxis. (Siehe unten!).
*(Lehr- und Arbeitsplan für die
Volksschule. Köln 1956) An der Erarbeitung
des "Lehr-
und Arbeitsplan für die
Volksschule" von 1956 waren beteiligt die Lehrerschaft des Landkreises
Köln unter Mitwirkung von Lehrkräften der Stadt Köln, des
Rheinisch-Bergischen Kreises, des Siegkreises, des Kreises Euskirchen,
des Landkreises Bonn sowie von Dozenten der Pädagogischen Akademie Köln.
Bis in die 1980er Jahre
bleibt es so in
der alten BRD: Weder in den Richtlinien/Lehrplänen der Länder noch in
der flächendeckend in
Grundschulen geübten
Praxis fanden Ideen, Schullanfänger mit der
Druckschrift als erste Handschrift beginnen zu lassen, Akzeptanz.
Ab den 1980er Jahren schaffte
es Brügelmann,
inspiriert von reformpädagogischen Träumen sowie vom
radikalen Konstruktivismus, mit seinem sich schnell verbreitenden Erstlingswerk
"Kinder auf dem Weg zur Schrift" (Konstanz 1983) und
dem darin sich befindlichen Aufsatz "Spracherfahrungsansatz",
solide pädagogische Fachwissenschaft und das Erfahrungswissen aus
vielen
Lehrergenerationen aus der Grundschulpädagogik zu verbannen. Im Fokus
seiner Ausführungen standen:
seine neue Lehre vom 'Spracherfahrungsansatz', die
er aus dem Konzept 'Lesen
durch Schreiben' des Schweizers J. Reichen entwickelt hatte und heute
auch
unter der Formulierung 'Schreiben nach Gehör' bekannt ist. Damit
verbundene Ziele waren das selbstbestimmte und selbstregulierte Lernen
der Kinder. Mit Hilfe
seiner kreativen neuen Definitionen von
Pädagogik, Didaktik und Methodik versuchte er, die
Fibel - ein Relikt aus den Zeiten der 'alten' Schule - als "Barriere"
auf dem Weg in den Schriftspracherwerb zu diskreditieren, sie gänzlich aus dem Anfangsunterricht zu verbannen und
durch neue, systemkonforme Lehr/-Lermittel zu ersetzen;
die Idee, anstatt einer verbundenen Schreibschrift die Erstklässler die Druckschrift als Erstschrift lernen zu lassen;
das Postulat, danach den Kindern die Vereinfachte
Ausgangsschrift als verbundenen
Schreibschrift beizubringen.
Im Sog der 68er Jahre
konnte
Brügelmann sich des Beifalls
aufbruchgestimmter Kreise sicher sein wie auch der ideologischen
Begleitung der GEW (Gewerkschaft Erziehung und
Wissenschaft) und des
Grundschulverbands, damals noch Arbeitskreis Grundschule, dessen ideelle Wurzeln bis in die
68er Jahre zurückreichen.
Brügelmann, studierter Jurist mit 1. Staatsexamen, Doktor der
Sozialwissenschaften, war nur drei Jahre vor der
Veröffentlichung seines Erstlingswerks von der
Universität Bremen zum Professor für Anfangsunterricht mit den
Schwerpunkten Erstlesen und Erstschreiben ernannt worden. Immer noch galt die
Universität
Bremen übrigens zu der Zeit, und das weit über die Bundesrepublik
hinaus,
als "rote Kaderschmiede" und war verschrien als "Marx- und Moritz-Uni".
Wir wissen heute nicht mehr, wie groß seinerzeit in
Fachkreisen das Erstaunen über
Berufung eines Laien auf diesen Lehrstuhl war. Weil Brügelmann weder
irgendein Lehramtsstudium mit den abschließenden I. und II.
Staatsexamina vorweisen konnte, er also keinerlei Lehramtsbefähigung
hatte, hätte er nicht einmal an einer Privatschule unterrichten dürfen.
Hinderlich bei seiner Berufung zum Professor für Anfangsunterricht mit
dem Schwerpunkt Erstlesen/Erstschreiben war offenbar auch nicht, dass
er über keinerlei Praxis in Schulklassen verfügte. Allerdings muss es
wohl Kreise gegeben haben, die ihn dennoch für geeignet hielten, als
Professor Lehramtsstudenten auszubilden, darin also, wie und was sie
nach ihren bestandenen Examina als Lehrerinnen/Lehrer in der
Grundschule zu unterrichten haben. Es soll sie
allerdings auch heute noch geben, die Professoren im Pädagogikbereich also,
die nicht einmal irgendein Lehramt studiert haben, die nur in
Ausnahmefällen auf eine schulische Tätigkeit verweisen können, was
jedoch regelmäßig Jahrzehnte zurückliegt, die auch - wie Brügelmann -
kein Fachstudium in Einzelwissenschaften wie der Grundschuldikatik, der
Fachdidaktik Deutsch, der Psychologie oder der Sprachwissenschaft
nachweisen können.
Nach den Ideen
Brügelmanns unterrichtet wurde in der alten BRD in rasch zunehmendem Ausmaß bereits ab Mitte der 1980er Jahre: allerdings ohne
solide empirische Grundlage. Heute wird nahezu flächendeckend nach den
brügelmannschen Vorstellungen Schule gemacht, auch wenn inzwischen
zahlreiche Untersuchungen die neuzeitliche Grundschuldidaktik als
reformpädagogischen Wahn entlarvt haben.
Zurück zur "Abschaffung der
verbundenen Schreibschrift"!
Während bis in die 1980er Jahre hinein die Ausgangsschrift eine
verbundene Schrift, nämlich die Lateinische Ausgangsschrift, war und
Erstklässler auch nur diese eine
Ausgangsschrift erlernen mussten - die
Druckschrift war ja nur die Leseschrift -, schaffte der
Reformpädagoge Brügelmann es mit seiner neuen Lehre, dass Kinder
nunmehr in der Grundschule zwei 'Schreibschriften'
hintereinander erlernen
mussten:
zuerst die Druckschrift, um mit der Anlauttabelle arbeiten zu können,
dann die 'Vereinfachte Ausgangsschrift' als
verbundene Schrift. Wenn ausgerechnet Brügelmann seit 2011 in der
erstaunten Öffentlichkeit damit wirbt, er
wolle nunmehr mit der Einführung der Grundschrift die Kinder von
dem Übel befreien, zwei Schreibschriften erlernen zu müssen, reicht
es nicht, diese Darstellung einfach nur als 'Witz' zu betrachten.
Beobachtern
der Entwicklungen in der gegenwärtigen
Schriftspracherwerbsdidaktik
ist indes nicht entgangen, welch hohen Stellenwert die Druckschrift
oder irgendeine andere druckschriftaffine Schrift wie die Grundschrift
für die
verschiedenen Konzepte des Schreibenlernens
'nach Gehör'
und mit der Anlaut-/Laut-/Schreibtabelle haben. Brügelmanns
Lebenspartnerin, Prof. E. Brinkmann, Miterfinderin der Grundschrift und
Herausgeberin des Grundschullehrwerks 'ABC-Lernlandschaft', das auf der
Basis der reformpädagogischen Ideen des H. Brügelmann, dem
'Spracherfahrungsansatz', entwickelt wurde, sieht beispielsweise für
den
Anfangsunterricht nach ihren Materialien die folgende Anlauttabelle in
der Grundschrift vor:
Kritische
Fragen sind zu stellen:
Sind die Abbildungen eindeutig? - Können alle
Kinder das jeweils Gezeigte mit einem Wort - auch lautlich - korrekt
benennen?
Tafel 3
Anlauttabelle
von Professorin Erika Brinkmann (Screenshot d. Online-Werbung für
dieses Produkt/12.03.2016)
Die Zweitklässlerin
Anna-Lena (1. Halbjahr) beabsichtigte mit Hilfe dieser Anlauttabelle
der Professorin Brinkmann nach dem Verfahren 'Schreiben nach Gehör und
mit der Anlauttabelle diesen Satz verschriften:
"Meine Mutter liest mit mir jeden Tag
eine spannende Geschichte."
Daraus
entstand, Buchstabe für Buchstabe gesprochen, gehört und dann in
Grundschrift geschrieben
dies:
Die Schreibung des
'Schwa'-Lauts, der zu 100% als 'e'
verschriftet wird und am Ende
von Wörtern wie
beispielsweise 'meine', 'spannende' und
'Geschichte' zu finden ist, kann in Anlauttabellen
als Anlaut nicht dargestellt
werden. Die Schreibung von 'eine'
ist der Schülerin offenbar geläufig.
Hätte Anna-Lena
diesen
Text fehlerfrei schreiben können, wäre in Grundschrift, also keineswegs
in verbundener Schrift geschrieben, dieses Bild entstanden:
In der folgenden Tabelle 4 wurden die Buchstaben
aus der Druckschrift durch die Buchstaben aus der
Schulausgangsschrift ersetzt.
Anmerkung: Beim Vergleich der Anlauttabellen in Tafel 3 und Tafel 4
zeigt sich, dass die Bilder
in Tafel 4 für Kinder
durchweg eindeutiger sind, was sich folglich auch auf die korrekte
Benennung der abgebildeten Motive auswirkt. Für Kinder aus dem
nichteuropäischen Ausland sowie aus bildungsfernen Familien bleiben
allerdings auch hier einige der Abbildungen rätselhaft. Nachahmenswert
ist, dass in Tafel
4 - im Gegensatz zur
brinkmannschen Anlauttabelle in Tafel 3 - für die Schreibung des
-i-/-I- nicht das Igel-Bild gewählt wurde. Das lange /i:/,
verschriftet als -I-/-i- wie z. B. in
'Igel' oder 'Isar', 'Fibel', 'dir' und 'mir' gehört zu
den sehr seltenen Ausnahmeschreibungen: Damit sollte man Kinder zu
Beginn des Schreiblernprozesses nun wirklich nicht in die Irre
führen.
Anlauttabelle
mit den Buchstaben aus der Schulausgangsschrift
Tafel 4
Die
fehlerfreie
sowie die fehlerhafte Schreibung
des oben
verwandten Satzes ergäben bei Verschriftung (in Schulausgangsschrift)
mit Hilfe der Anlauttabelle
diese Bilder:
Die fehlerfreie Verschriftung in verbundener Schrift - der
Schulausgangsschrift- würde folgendes Schreibbild ergeben:
Es
wäre natürlich völlig unsinnig, Kinder Texte Buchstabe für
Buchstabe unverbunden in einer Schrift schreiben zu lassen, die als
verbundene
Schreibschrift konzipiert ist. Für in pädagogischer Hinsicht nachgerade
'ahnungslos' müsste man diejenigen halten, die von Erst- und
Zweitklässlern verlangten, den niederzuschreibenden Text mittels
solcher
Prozedur tatsächlich zu Papier zu bringen, so, wie sie hier am Beispiel des Wortes
'liest' aufgezeigt wird:
Jedes Wort (hier: 'liest') ist in Einzelaute zu zergliedern > anhand der bildlichen Darstellungen sind in der Anlauttabelle für jeden Laut nacheinander die entsprechenden Buchstaben herauszufinden und zu verschriften (Löwe > l/Indianer > i/Sonne > s*/Tasse > t)
*Kinder suchen allerdings das stimmlose 's' (wie auch die lautliche Entsprechung für das stimmlose 's', 'ß' und 'ss') in der Anlauttabelle vergebens, diese Laute gibt es nicht als Anlaute. Möglicherweise hat jemand korrierend auf Anna-Lena eingewirkt, dieses 'liest' mit 's' zu verschriften.
Beim Verschriften sollen die Kinder darauf achten, dass die in verbundener Schreibschrift geschriebenen Wörter unter den Aspekten der leichten Lesbarkeit und der ökonomischen Gestaltung der Buchstabenverbindungen akzeptabel sind.
Es wird deutlich,
wie absurd es
wäre, eine Anlauttabelle mit den Buchstaben aus einer verbundenen
Schreibschrift auf den Markt zu bringen. In dem bereits oben erwähnten
brügelmannschen Erstlingswerk
"Kinder auf dem Weg zur Schrift" (Konstanz 1983) ging
es in dem darin sich befindlichen
Aufsatz "Spracherfahrungsansatz" um drei Postulate:
um die Einführung des Spracherfahrungsansatzes mit der zentralen didaktischen Innovation 'Schreiben nach Gehör und mit der Anlautabelle',
die Erstklässler anstatt einer verbundenen Schreibschrift die Druckschrift als Erstschrift lernen zu lassen,
den Kindern danach die Vereinfachte Ausgangsschrift als verbundene Schreibschrift beizubringen.
In den
frühen 1980er Jahren gab es schon Verwunderung darüber, dass diese drei
sog. Innovationen - aus heutiger Sicht nahezu zeitgleich - ohne jegliche empirische
Grundlage und beinahe geräuschlos in
die Schulen lanciert werden konnten. Natürlich waren sich Brügelmann et
al. darüber im Klaren, dass die Einführung des Spracherfahrungsansatzes
mit 'Schreiben nach Gehör und mit der
Anlauttabelle' nicht mit einer solchen Tabelle gelingen
könne, die auf
den Buchstaben aus einer verbundenen Schreibschrift basierte. (Siehe
oben!) Es gelang ihnen, dieses Problem
zu lösen: Mit ziemlich dürftiger Begründung erklärten sie die
handgeschriebene 'Druckschrift' zur ersten Anfangsschrift und verhalfen
daraufhin, da lt. Richtlinien und Lehrplänen seinerzeit noch das
Erlernen einer verbundener Schreibschrift gefordert war, mit den oben
beschriebenen Mitteln (Kap. I.)
der druckschriftaffinen Vereinfachten Ausgangsschrift (VA) zur wenig
geschätzten zweiten
'Ausgangsschrift'. Bis in die 1980er Jahre mussten Erstklässler - wie bereits
erwähnt - nur eine
verbundene Schrift, nämlich die Lateinische Ausgangsschrift schreiben
lernen, die
Druckschrift war nur Leseschrift. Brügelmanns zweifelhafter 'Erfolg'
seiner neuen Lehre war, dass Kinder
nunmehr zwei
'Schreibschriften'
hintereinander erlernen
mussten. Man
könnte das Ganze auch so formulieren:
Nur um den Spracherfahrungsansatz mit der zentralen didaktischen Innovation 'Schreiben nach Gehör und mit der Anlautabelle' in die Schulen zu implantieren, opferte man ohne jegliche empirische Grundlage eine lange erprobte und erfolgreiche Praxis, den Anfangsunterricht mit einer verbundenen Schreibschrift zu beginnen, die bald schon auch das unverzichtbare verbundene Schreiben von ganzen Silben und Morphemen erlaubte. Genau darauf sollte aber laut Fachwissenschaft Wert gelegt werden. (Siehe dazu unten ab Kapitel VIII. !) Anstatt dessen wurde nun eine Vorgehensweise grundgelegt, die darauf abzielt, mit unverbundenen Buchstaben Wörter aufzubauen: jeden Tag.
Nach jahrelangen Diskussionen um
die nachlassende Qualität der
Handschriften zeichnete sich schon vor Jahren ein neuer
Diskussionsbedarf ab. Befeuert wurden sie auch dadurch, dass inzwischen
Untersuchungen der
internationalen Fachwissenschaft auf die Unverzichtbarkeit einer
verbundenen Schreibschrift als Anfangsschrift hingewiesen hatten.
Insbesondere Letzteres brachte all die Verfechter des 'Schreibens nach Gehör und mit der Anlauttabelle'
in eine recht ungemütliche Situation. Einerseits galt es, dem
Schriftspracherwerbsunterricht die Arbeit mit der Anlauttabelle zu
erhalten, andererseits konnte man sich aber auch den neuen
Erkenntnissen aus der empirischen Wissenschaft nicht verschließen: Den
Gedanken daran, dass sich eine verbundene Schrift für die Gestaltung
einer Anlauttabelle
eignen würde, musste man aus den oben vorgebrachten Gründen verwerfen.
Das Ergebnis war die Erfindung
der Grundschrift, die zwar immer noch eine Druckschrift ist (Siehe Tafel 11!),
die aber von den Kindern selbstreguliert und selbstbstbestimmt zu einer
Art verbundener Schreibschrift fortentwickelt werden soll. Die Werber
für die neue Schrift legen neuerdings besonderen Wert auf die
Festellung, dass Kinder fortan nur noch eine
Schreibschrift zu lernen hätten. Man muss es nicht einfach nur mit
Humor hinnehmen, wenn man weiß, dass es ausgerechnet dieselben Kräfte
des mehrfach
erwähnten
Netzwerks waren, die seinerzeit - wie oben erwähnt - mit ihrer
Propaganda für die verbindliche Einführung von zwei Anfangsschriften warben: der
handschriftlich zu schreibenden Druckschrift und der danach zu lernenden Vereinfachten
Ausgangsschrift.
III.
Die
Einführung
der 'Grundschrift' -
eine
didaktische
Entscheidung auf der Basis erprobter Machenschaften
Der
Diplompsychologe
Götz Taubert aus Memmingen, tätig am Klinikum in Memmingen in
den
Facheinrichtungen Pädiatrie, Sozialpädiatrisches Zentrum [SPZ],
Psychologie, beschäftigt sich wissenschaftlich akribisch mit dem
Wahrheitsgehalt der Werbekampagne um die Einführung der Grundschrift.(http://www.grundschrift.info/index.htm)
In der Einleitung seiner kritischen Betrachtung zu einer der
brügelmannschen Werbeveröffentlichungen (www.grundschrift.info/bruegelmann.htm/
Stand:
17.08.2015), hier mit dem Thema "Von der
Druckschrift zur persönlichen Handschrift", beleuchtet er in "Unwahre
Darstellungen von Professor Brügelmann" speziell die
Argumentation Brügelmanns :
"Auf der Domain www.die-grundschrift.de wurde mit Datum vom 15.05.2015 unter der Überschrift »Empirische Befunde zur Handschrift« ein Artikel von Professor Hans Brügelmann mit dem Titel „Von der Druckschrift zur persönlichen Handschrift“ zum öffentlichen Download eingestellt. Auf der gleichen Domainseite veröffentlicht der Grundschulverband noch einen weiteren Artikel vom gleichen Autor (Titel: „Direkter Weg von der Druckschrift zur persönlichen Handschrift”) aus dem Jahr 2014 in leicht redigierter Version. In beiden Veröffentlichungen tätigt Brügelmann sachlich unwahre Aussagen über Inhalte von empirischen Studien, die im Folgenden dargestellt werden." (ebd.)
Gewissenhaft
bis ins Detail recherchiert, hält der Diplompsychologe Götz Taubert in
seiner
Untersuchung Brügelmann zahlreiche unwahre Darstellungen"
vor:
höchst tendenziöse sowie inkorrekte und irreführende Behauptungen
unwahre und irreführende Aussagen
unwahre Darstellungen
fehlerhafte und irreführende Angaben, die dem Leser nicht existente Ergebnisse als empirische Ergebnisse vorgaukeln.
Um das
ganze Ausmaß dieser
ungeheuerlichen
Verdummung der Leserschaft nachvollziehen zu können, sei geraten, das
gesamte Resümee des Diplompsychologen Götz Taubert
aufzuschlagen unter:
http://www.grundschrift.info/bruegelmann.htm/Stand:
17.08.2015.
Als
Reaktion auf
die von Taubert geäußerte inhaltliche Kritik zog
Brügelmann am 14.06.2015 seinen ersten Artikel zurück und ersetzte ihn
durch
einen
inhaltsähnlichen Aufsatz
(http://www.die-grundschrift.de/konzept/forschung/
bruegelmann/Stand:
18.06.2015):
Diese "berichtigte
und ergänzte Fassung v. 14. 6. 2015", wie Brügelmann sie nennt,
übersteigt indes noch deutlicher das Maß alles Vorstellbaren, so dass
Taubert mit durchaus realitätsadäquaten Formulierungen seiner
Untersuchungsergebnisse
noch einmal bekräftigen muss:
"Die Art und Anzahl der beschriebenen Mängel belegen eine unzureichende wissenschaftliche Exaktheit in der Arbeitsweise und Veröffentlichungspraxis von Prof. Brügelmann." (http://www.grundschrift.info/bruegelmann.htm/Stand: 17.08.2015.)
Voll nachvollziehbar ist auch dieses Urteil Tauberts, dass es sich bei den fehlerbehafteten Darstellungen durch Professor Brügelmann um eine "entschlossen wirkende Irreführung der Leserschaft" handelt. (ebd.)
Gemeinhin
gilt: Unwahre Aussagen können auf Irrtümern beruhen. Wenn jedoch einem
Fachmann, einem Professor beispielsweise, in seinem Fachgebiet
wiederkehrend Irrtümer unterlaufen, wird man nicht umhin können, ihn
für inkompetent zu halten. Unwahre Aussagen sind jedoch dann, wenn der
Verkünder weiß, dass sie falsch sind, Lügen. In gewissen Kreisen der Pädagogik dienen inzwischen ganz offenbar die wissentliche und gezielte Weitergabe
und Verbreitung falscher Informationen
als Mittel und Strategien zur Konstruktion solcher wohldurchdachter
Manipulationsakte, die dabei behilflich sind, sich Vorteile zu
verschaffen und/oder die eigene Position, auch das eigene Prestige, zu
festigen oder zu verbessern.
Insofern sind unwahre und irreführende Aussagen in der Verwendung als wissentliche
und
gezielte Weitergabe und Verbreitung falscher
Informationen ohne jeglichen Zweifel auch ethischen
Bewertungskriterien unterworfen.
Der
Grundschulverband –
Arbeitskreis
Grundschule e.V. ist (lt.
Wikipedia) ein
politisch tätiger Fachverband
für Grundschullehrerinnen und Grundschullehrer. Horst Bartnitzky,
Ulrich Hecker, Prof. Dr. Erika Brinkmann, Prof. Dr. rer. soc.
Brügelmann: Allesamt sind sie als Funktionsträger in diesem
Grundschulverband tätig, seit Jahrzehnten schon. Inzwischen vertreibt
der Grundschulverband e. V.
seine Fachbücher und Schulmaterialien, mit einem erheblichen Anteil an
Anleitungsliteratur und Materialien/Übungsmaterialien zur Einführung der Grundschrift, im
eigenen online-Shop mit
Warenkorb über die Sedulus Vertriebs GmbH.
(http://www.grundschulverband.de/veroeffentlichungen/mitgliederbaende/?tt_products%5Bbegin_at%5D
=28&cHash=5d4174e5853604bb6d7ec8c12fd8581d/Stand:
19.08.2015)
Prof.
Dr. rer. soc.
Brügelmann ist derzeit einer der
geschäftigsten Befürworter der bundesweiten Einführung der
Grundschrift. Ab dem Schuljahr 2011/2012, also bereits kurz nach Anlauf
der großen Werbekampagnen für die Grundschrift, bietet die
Lebenspartnerin Brügelmanns, Prof. Dr. Erika Brinkmann, ihren
Lehrgang 'ABC-Lernlandschaft' auch in Grundschrift an, samt
Buchstabenheft, Anlauttabelle und -poster (über den Klett-/vpm-Verlag).
Entstanden ist aus der engen Zusammenarbeit inzwischen wohl eine der
größten
online-Werbeveranstaltungen für schulische Materialien, die es je gab.
Hans Brügelmann und Erika Brinkmann waren seinerzeit auch die ersten,
die aus der Lesen-durch-Schreiben-Idee Jürgen Reichens ihre eigene
Lesen-durch-Schreiben-Version, den Spracherfahrungsansatz, zu einer
lukrativen Geschäftsidee entwickelten: Brügelmann als spiritus rector,
als lenkender Geist des Systems, beide zusammen als Entwickler,
Herausgeber/Mitherausgeber einer inzwischen unüberschaubaren Fülle von
Materialien für die Umsetzung ihrer Version der
Lesen-durch-Schreiben-Pädagogik im Anfangsunterricht. (vpm-Verlag)
In
Presseberichten wird die derzeitige Entwicklung um die Grundschrift
kritisch
gesehen, deutsche Fachwissenschaftler halten sich bis auf wenige mutige
Ausnahmen mit ihren Beurteilungen zurück - hier ist wohl das
redensartliche Verhalten von Krähen zu vermuten. Brügelmann
hofft jedoch ganz
offenbar bei Grundschullehrerinnen und Grundschullehrern, die seine
Texte lesen, auf eine ihnen
allesamt eigene gewisse Disposition zur Schwarmignoranz. Hinzukommt,
dass er sich allem Anschein
nach auch nicht bemühen mag, in seinen Elaboraten solche abwegigen
Behauptungen zu
vermeiden, aus denen sich bei dem geneigten Leser die durchaus
naheliegenden Gedanken
entwickeln könnten, dass hier Inkompetenz oder bewusste
Irreführung
federführend waren. So behauptete Brügelmann am 12.05.2014 in
einem Blog:
"Auch Versuche der Umsetzung sind
wissenschaftlich begleitet worden – in der Schweiz mit der
Konsequenz, dass jetzt alle Kantone
die Schreibschrift direkt aus der
Druckschrift entwickeln." (Hervorhebung d. d.
Autor)
(/http://pisaversteher.com/2014/05/10/vorher-ist-nichts-erprobt-worden//Stand:
15.12.2015)
In
den französisch und italienisch sprechenden Kantonen der Schweiz
dachten indes verantwortungsbewusste Schulpolitiker - wie
in Frankreich - nie daran, die Kinder die Schreibschrift "direkt aus der
Druckschrift" entwickeln zu lassen: Auch deshalb nicht, weil Fachwissenschaftlerinnen und Fachwissenschaftler wie Dr. Loyse Ballif, Professorin
für Schreibenlernen/Erstschrift in
Fribourg und Lausanne mit empirisch belegter Argumentation für die
Beibehaltung der
verbundenen Schreibschrift zum Schulanfang eintraten. (Näheres
dazu in Kap. XII!)
Bereits am 29.06.2011 hatte Brügelmann in einem Aufsatz mit der Überschrift "Mit der Grundschrift zu einer individuellen Handschrift - die gut lesbar ist" die Leser in die Irre führen wollen:
"... Dass Kinder lernen, nicht nur lesbar, sondern auch flüssig zu schreiben, bleibt also ein wichtiges Ziel. Wie in den Ländern, die gar keine Schreibschrift kennen, z. B. den USA." (http://www.grundschulverband.de/fileadmin/aktuell/Grundschrift/Juni.11.brue_SPIEGEL_online_11_grundschrift_handschrift_hamburg_PRO_110629.pdf /Stand: 20.08.2015)
"Wie
in den Ländern, die gar keine Schreibschrift kennen, z. B. den USA."
Jemand, der mit diesem Argument für die
bundesweite Einführung der 'Grundschrift' wirbt, kann dies wohl nur in
der Annahme tun, dass er mit seiner Aussage vornehmlich Adressaten mit
einem ziemlich kläglichem Wissensniveau anspricht.
In
den USA haben wir es bezüglich des Schreibunterrichts in der Schule -
und das
ist hierzulande nicht etwa nur das Wissen einer pädagogischen Fachwelt
- mit 4 Schrift-/Schreibvarianten zu tun:
cursive writing > Schreiben einer handgeschriebenen verbundenen Schreibschrift
manuscript writing > Schreiben von handgeschriebenen 'Druckbuchstaben' als unverbundene Schreibschrift
manuscript/cursive writing > Schreiben in einer Mischung aus cursive writing und manuscript writing
typing (keyboarding, ...) > das Schreiben mit dem Computer
Mit dem Ziel der
bundesweiten
Verbesserung der Chancengleichheit wurden im Jahre 2010 in den USA
von der 'National Governors Association und dem Council of Chief State
School Officers' schulische Standards erarbeitet. Die dahinter stehende
Absicht war, alle
Schüler besser auf den College-Besuch bzw. auf den Einstieg ins
Berufsleben nach dem High-School-Abschluss vorzubereiten. Neu war für
die amerikanischen Schulen nun, dass es nach den neuen 'Common Core
standards' keine Auflagen mehr für die Einführung bestimmter Schriften
gab: "It was left up to individual school districts to determine how
much of an emphasis to put on the writing art form in their
curriculum." Die Bildungsindustrie nahm diese news als frohe
Botschaft auf und sah ihre große Stunde gekommen: keyboarding! Während
in den Staaten das Gros der Eltern gegen die Abschaffung der
verbundenen handgeschriebenen Schreibschrift, 'cursive writing',
rebellierte, übernahmen die in Wartestellung harrenden Vordenker der
Bildungsindustrie mit großem Eifer die Aufgabe, den Lehrerinnen/Lehrern
mit pseudowissenschaftlicher, teils unbegreiflich alberner
Argumentation die Nachteile des Schreibens mit einer
verbundenen
handgeschriebenen Schreibschrift und die mit kreativem Geschäftssinn
konstruierten Vorteile des Tastaturschreibens zu erklären. An
lukrativen Geschäften nicht interessierte seriöse US-Wissenschaftler
legen inzwischen Untersuchungen vor, die die Unverzichtbarkeit des
Schreibens mit einer verbundenen handgeschriebenen Schreibschrift
nachweisen. Nicht alle Staaten der USA übernahmen in 2010/2011 die
'Common Core standards' bedenkenlos und bewahrten somit ihre Kinder vor
den drohenden Gefahren und Folgen, wenn sie ausschließlich
'keyboarding' lernen. Weitere Staaten, in denen in den Schulen
der
Schriftenwirrwarr um cursive writing,
manuscript writing und keyboarding mitunter groteske Folgen hatte,
haben inzwischen, nachdem sie neue Forschungsergebnisse und Warnungen
renommierter und seriöser Wissenschaftler zur Kenntnis genommen hatten,
das Erlernen einer verbundenen handgeschriebenen Schreibschrift,
cursive writing eben,
per Gesetz zur Pflicht gemacht. US-amerikanischen Presseberichten ist
zu entnehmen, dass weitere Staaten entsprechende Beschlüsse
vorbereiten.
Brügelmanns Mär:
"Wie in den Ländern, die
gar keine
Schreibschrift kennen, z. B. den USA."
Tafel 5
Tafel 6
Tafel 7
Am
12.12.2012,
fast
zeitgleich zu dem
Zeitpunkt,
da dessen Lebenspartnerin
und stellvertretende
Vorstandsvorsitzende des Grundschulverbands Prof. Erika Brinkmann das
von ihr herausgegebene Lehrwerk 'ABC Lernlandschaft' auch in
'Grundschrift' anbietet, stellt Brügelmann fest:
"Die in Deutschland bisher verwendeten Ausgangsschriften: Lateinische,
Vereinfachte und Schul-Ausgangsschrift sind historisch überholt."
(http://www.bildung.uni-siegen.de/grundschule/oase/files/brue.12.
grundschrift.oase-forum.fol.121210.pdf/Stand
22.08.2015)
Tafel 8
Es
handelt sich dabei um
eine Formulierung, auf die sich auch Horst Bartnitzky und Ulrich Hecker
vom Grundschulverband in ihren Werbeschriften wiederholt berufen. Alle
lassen sie jedoch
völlig offen, welche Entwicklungen dazu geführt haben, dass man die
Lateinische, Vereinfachte und Schul-Ausgangsschrift ab dem Jahre 2012
als für 'historisch überholt'
ansehen sollte. Das von den deutschen
Grundschrift-Netzwerkern sinnfreie Argument, das Schreibenlernen mit
einer verbundenen handgeschriebenen Schreibschrift sei "historisch
überholt", suchen wir in der internationalen Diskussion
vergebens. US-amerikanische
und französische Wissenschaftler,
Psychologen, Neurowissenschaftler, Kognitionswissenschaftler,
fokussieren bei ihren Untersuchungen das
Wohl der Kinder, d.
h. sie fragen danach, mit welcher Schrift Kinder, speziell auch solche
mit
Lese-/Rechtschreibproblemen, am effektivsten und nachhaltigsten lernen:
mit einer verbundenen handgeschriebenen Schreibschrift (cursive
writing), mit einer unverbundenen handgeschriebenen
Druckschrift
(manuscript writing), mit einer Mischung aus verbundener und
unverbundener Schrift (manuscript/cursive writing) oder mit dem
unverbundenen Schreiben am
Computer (typing/keyboarding, ...).
Man erinnere sich an das, was Brügelmann zur Einführung der Vereinfachten Ausgangsschrift (VA) behauptete:
"Die VA hat inzwischen rund 15 Jahre praktischer Erfahrung und kontrollierter empirischer Erprobung vorzuweisen". (Prof. Hans Brügelmann: Kinder auf dem Weg zur Schrift. Konstanz 1986.)
28 Jahre später versichert Brügelmann zur Einführung der Grundschrift wieder einmal:
“Das Konzept baut auf einer soliden Grundlagenforschung zur Entwicklung der Handschrift auf, die bereits vor zehn Jahren von Mahrhofer systematisch ausgewertet worden ist.”* (FAS vom 11.5.2014)
*(http://www.grundschulverband.de/fileadmin/aktuell/Grundschrift/Brue._Kommentar_zum_Interview_Andresen__FAS_11.5.2014.pdf/ Stand
24.08.2014)
Wiederum
kann
Brügelmann seine Feststellung nicht belegen:
Was
Herr
Brügelmann “solide Grundlagenforschung”
nennt, ist deutschlandweit eine einzige Untersuchung. Durchgeführt
wurde sie von der Sonderpädagogin Christina
Mahrhofer-Bernt. Sie entwickelte um 2000 eine der Grundschrift
ähnelnde Schrift, die "LufTschrift", aus der dann maßgeblich
sie
zusammen mit Horst Bartnitzky, Erika Brinkmann und Ulrich Hecker die
jetzt vom Grundschulverband beworbene Grundschrift entwickelte. An
ihrer
Untersuchung nahmen ausschließlich Zweitklässler teil, die in drei
Gruppen unterteilt waren: Die eine Gruppe schrieb die Lateinische
Ausgangsschrift, eine zweite die Vereinfachte Ausgangsschrift, die
dritte Gruppe die von Mahrhofer-Bernt entwickelte LufTschrift. Sie kam
in ihrer Untersuchung zu dem Schluss: Schwächere Schüler kommen mit der
von ihr entworfenen
LufTschrift und den didaktischen Vorgaben, die ihnen Orientierung
ermöglichten und gleichzeitig Freiheiten ließen, zu besseren
Resultaten. Heute gibt Christina
Mahrhofer-Bernt zusammen mit Horst Bartnitzky und Ulrich
Hecker im Shop des Grundschulverbands Materialien zum Erlernen der
Grundschrift heraus: "Grundschrift - Damit Kinder besser schreiben
lernen." Festzuhalten ist: Wie seinerzeit die Vereinfachte
Ausgangsschrift wurde
auch jetzt die vom Grundschulverband beworbene
Grundschrift nicht von
unabhängigen seriösen Fachwissenschaftlern untersucht. Außerdem,
Skepsis
ist angebracht: Studien/Untersuchungen, insbesondere im Bereich
Grundschule, gelten
heute nicht viel mehr als weisungsabhängige Auftragsforschung und
dienen beklagenswert oft der Durchsetzung merkantiler
Zielvorstellungen.
Dieser
Aufsatz reicht
indes nicht aus, die dunklen Seiten einer ausgeklügelt
merkantil
agierenden sog. modernen Pädagogik bzw. Reformpädagogik auch nur
annähernd in ihrem ganzen Ausmaß darzustellen: Interessierte Leser
mögen sich der in diesem Aufsatz aufgezeigten Links
bedienen.
IV.
Brügelmann:
"Aus
diesen 'gedruckten' Buchstaben
entwickeln die Kinder
ihre persönliche (verbundene)
Handschrift."
Schon
bei der
Terminologie fängt die Verwirrung an: Handschrift, Druckschrift,
Schreibschrift, mit
der Hand geschriebene Druckschrift, teilverbundene Schrift,
verbundene Schreibschrift,
unverbundene Schreibschrift, teilverbundene Schreibschrift. Dieser
Wirrwarr wird jedoch künstlich
erzeugt. Immerhin benutzen die Verfechter der Grundschrift dieses
sprachliche Durcheinander auch dazu, diese Grundschrift als
"erste
Schreibschrift" zu bezeichnen. Bei Anfeindungen wehren sie sich,
durchaus nicht immer erfolglos, und versichern, es sei nicht ihr
Anliegen, die 'Schreibschrift' abschaffen zu wollen. H. Bartnitzky
definiert die Grundschrift als eine Schrift,
“die
mit der gedruckten Leseschrift korrespondiert. Ihre Buchstaben
entsprechen der sog. Gemischten Antiqua (eine Druckschrift),
sind aber
handgeschrieben.“ (Klammersetzung d. d. Autor)
(http://www.grundschulverband.de/fileadmin/aktuell/Grundschrift/GSa110_Mai10_Grundschrift_S3-12.pdf/12.12.2015)
An anderer Stelle beschreiben U. Hecker/H.
Bartnitzky die Grundschrift als "handgeschriebene
Druckschrift". Kinder sollen die Schreibform der Buchstaben aus den
gedruckten
Buchstaben heraus selbst entwickeln und dabei auch selbst eigene
Buchstabenverbindungen erfinden. (ebd.) Eltern, die ihre
Kinder bei der Schreibentwicklung beobachten, stellen fest, dass
die Kinder lediglich eine teilverbundene Schrift entwickeln, eine
Mischform aus verbundener Schreibschrift und unverbundener
Druckschrift, die in keiner Weise den Anforderungen entsprechen kann.
Mit ihrer neuen Lehre gehen H.
Bartnitzky et al. von nicht viel mehr als von völlig
pädagogikfernen Ideen aus, wenn
sie es für denkbar halten, dass nach der Einführung der Grundschrift als
Ausgangsschrift, einer an
Druckbuchstaben sich anlehnenden handgeschriebenen
unverbundenen
Schrift, es
den Schülerinnen und Schüler überlassen werden könnte, sich daraus ihre
individuelle
verbundene Handschrift selbstbestimmt nach ihrem Gusto weiter zu
entwickeln. Damit schaffen sie ohne Zweifel die verbundene
Schreibschrift endgültig ab. Sie zerstören damit gleichzeitig auch ein
über Jahrhunderte
gepflegtes
und
lebendig gebliebenes Kulturgut. Sowohl in der deutschen als z.B. auch
in der
US-amerikanischen und französichen Fachliteratur wird stets mit
Nachruck auf die besondere Bedeutung eines lehrergesteuerten
Unterrichts zur Einführung von handgeschriebenen verbundenen
Schreibschriften
hingewiesen.
Lernmittelwerbung in den USA:
Cursive Alphabet - Manuscript
Alphabet
Tafel 9
Die
an Druckbuchstaben sich
orientierende handgeschriebene
unverbundene Schrift
Tafel 10
Brief
des engmaschig operierenden Grundschulverbands:
in
mit dem
Computer geschriebener Grundschrift
Tafel
11
http://www.grundschulverband.de/fileadmin/bilder/projekte/Grundschrift/Referentenanfrage.pdf/Stand: 02.01.2016)
Auch
'Will Software' (Schriften-Fonts) bietet inzwischen die
'Grundschrift' an: "Die Grundschrift wurde 2011 vom Grundschulverband
entwickelt und zuerst in Hamburg eingeführt. Die Buchstabenform der
Grundschrift orientiert sich an der Druckschrift, es sind
handgeschriebene Druckbuchstaben. Die Buchstaben können wahlweise
verbunden werden, wo es der Schreibfluss anbietet. Es sind keine
festgelegten Verbindungen vorgegeben, so dass jeder Schüler seine
eigene individuelle Handschrift entwickeln kann."
Lehrerinnen
und Lehrer
an weiterführenden Schulen beklagen, dass sich bei Schülerinnen und
Schülern ihre Ausgangsschrift
in unverbundener Druckbuchstabenschrift zunehmend
zu
einer Art "persönlicher Handschrift" in Druckbuchstaben entwickelt
habe. Sie sei in nicht wenigen Fällen kaum mehr lesbar, besonders dann,
wenn eine Schreibaufgabe unter Zeitdruck erfolgt, wie etwa bei
Klassenarbeiten/Klausuren. Schulpolitiker in
Nordrhein-Westfalen haben in Sachen 'Schreibenlernen' diese
"Innovation" allerdings bereits 2003 in den Richtlinien/Lehrplänen für
die
Grundschule festgezurrt:
"Ausgangsschrift für das Lesen und Schreiben ist die Druckschrift. Im Zuge der Verflüssigung des Schreibverlaufs und der individuellen Ausprägung der Schrift entwickeln die Schülerinnen und Schüler später aus der Druckschrift ihre persönliche Handschrift."
Maria-Anna
Schulze
Brüning, Lehrerin
für die Fächer Französisch und
Kunst an der Sophie-Scholl-Gesamtschule in Hamm, Praxisforscherin in
Sachen 'Handschrift', Herausgeberin einer Homepage mit dem Titel
"handschrift-schreibschrift",
zeigt
auf ihrer
Homepage Beispiele dafür, wie sich diese Innovation
inzwischen
auswirkt.
(http://www.handschrift-schreibschrift.de/schriftdefizite/Stand: 28.08.2015)
Hinzu
kommt: Nicht wenige Lehrerinnen/Lehrer an Grundschulen machen keinen
Hehl daraus, dass die Lehre einer verbundenen Schreibschrift für sie
kein Thema mehr sei.
Brügelmanns/Brinkmanns
Pädagogik:
Aus
'Druckschrift' selbstbestimmt weiterentwickelt: die tatsächlichen
Ergebnisse an weiterführen Schulen
Tafel 12
(http://www.handschrift-schreibschrift.de/schriftdefizite/Stand:
28.08.2015)
Es
ist abzusehen: Mit der jetzt durch den Grundschulverband angekurbelten
bundesweiten Einführung der Grundschrift wird diese negative
Entwicklung weiter voranschreiten. Sie wollen es so, namentlich auch u.
a. Bartnitzky und Brügelmann:
Bartnitzky
zur
Grundschrift:
"Sie
kann bei weiterem Gebrauch zur individuellen Handschrift
weiterentwickelt werden."
(http://www.grundschulverband.de/fileadmin/aktuell/Grundschrift/GSa110_Mai10_Grundschrift_S3-12.pdf/Stand: 28.08.2015)
Brügelmann
zur Grundschrift:"
"Aus
diesen
„gedruckten Buchstaben
entwickeln die Kinder
ihre persönliche (verbundene)
Handschrift."
(http://www.grundschulverband.de/fileadmin/aktuell/Grundschrift/Juni.11.brue_SPIEGEL_online_11_grundschrift_handschrift_hamburg_PRO_110629.pdf
/Stand:28.08.2015)
Schon vor knapp hundert
Jahren scheiterten Kinder daran, nach solcher Art von Pädagogik eine
verbundene Schreibschrift zu erlernen. Im Jahre 1917 erschien Prof.
Fritz Kuhlmanns Schrift
'Schreiben
im neuen Geiste, Neue Wege des Schreibunterrichts' (München 1917).
Kuhlmann, Anhänger der reformpädagogischen Bewegung, zudem beeinflusst
sowohl von der Arbeitsschul - als auch von der
Kunsterziehungsbewegung, wollte die Kinder schon von
Schulbeginn
an zu einer individuellen Gestaltung ihrer Handschrift führen. Seine
Idee: Die Kinder sollten zuerst die Druckschrift durch Nachzeichnen
erlernen, danach erst sollte der eigentliche
Schreibunterricht
beginnen. Größten Wert legte er dabei auf die Selbsttätigkeit der
Kinder: Sie sollten die Schreibform der Buchstaben aus den gedruckten
Buchstaben heraus selbst entwickeln und dabei geeignete
Buchstabenformen und
Buchstabenverbindungen finden. In einer Art Lehrgang, den er im Übrigen
nicht als solchen bezeichnet wissen wollte, beabsichtigte er in einem
Unterricht, in dem sich Frontalunterricht und Arbeitsphasen des
Ausprobierens abwechselten, die Kinder ihre eigene Schreibschrift
entwickeln zu lassen. Die reformpädagogisch orientierte Fachwelt war
begeistert, zumal er in seiner Schrift vom
"Geiste der Pädagogik des zwanzigsten Jahrhunderts" schwärmte, dabei in
grenzenlosem Ausmaß die Schlagworte der damaligen Reformpädagogik wie
"Selbstgestalten", "Selbstschaffen", "freies Gestalten", "Unrecht am
Kinde" immer wieder einflocht und auch mit Forderungen
wie "Nicht 'Aneignung' von etwas Fremdem, sondern 'Selbstschaffen' von
innen heraus, aus eigenem geistigen Vermögen und Können des Kindes!"
nicht sparsam umging. Flächendeckend in Schulen umgesetzt wurde
Kuhlmanns Konzept nie.
Die Fachwelt kam schon bald dahinter, dass Kinder im Grundschulalter -
ohne jegliche Schreibschrifterfahrung - nicht in der Lage
sind,
selber eine für alle lesbare und unter schreibökonomischen
Gesichtspunkten sinnvolle Schreibschrift entwickeln zu können. Horst
Bartnitzky vom Grundschulverband, einer der für die Grundschrift eifrig
werbenden Netzwerker, verwies in seinem Aufsatz "Grundschrift - damit
Kinder
besser schreiben lernen – ein Projekt des Grundschulverbandes" auf
diese Erfindung des Reformpädagogen Kuhlmann, ohne allerdings das
völlige
Scheitern dieser abstrusen Ideen zu erwähnen: "Wem die
Forderung nach Druckschrift
als erster und einziger Ausgangsschrift exotisch erscheint, der sei
verwiesen auf zahlreiche Ahnen: angefangen bei Reformpädagogen zu
Anfang des 20. Jahrhunderts wie Kuhlmann (1916) .....".
Es stellt sich
die Frage, ob
Bartnitzky
tatsächlich nicht wusste, dass Kuhlmann, Brückl und etliche andere mit
solchen Konzepten schon vor vielen
Jahrzehnten nach kurzen Anfangserfolgen kläglich gescheitert sind.
(http://www.grundschulverband.de/fileadmin/aktuell/Grundschrift/GSa110_Mai10_Grundschrift_S3-12.pd/Stand:
14.08.2015)
In Westen der BRD begannen vor dreißig Jahren und davor
noch nahezu
alle Schulanfängerinnen und Schulanfänger mit der Lateinischen
Ausgangsschrift. Schon während ihrer ersten Schuljahre stellten deren
damalige Lehrerinnen und Lehrer fest, dass sich
Ausgangsschriften bei hinreichender Schriftpflege später zu
persönlichen
Handschriften fortentwickelten, - wie es auch in den Richtlinien
mindestens seit den 1950er Jahren vorgesehen war. Dazu
bedurfte es keiner speziell entwickelten Schrift, auch nicht solcher
jetzt vom
Grundschulverband angebotenen Vielzahl an teuren
Materialien.
Lateinische
Ausgangsschrift (Ursprung in alten BRD) und Schulausgangsschrift (seit 1968
geschrieben in der DDR)
Tafel 13
In
der Lateinischen
Ausgangsschrift sollen da, wo es möglich ist, Anknüpfungsbögen am
Anfang/Abschluss der Groß- wie auch der Kleinbuchstaben den Anschluss
zum folgenden/ vorangehenden Buchstaben erleichtern. Das
trifft in etwas geringerem Ausmaß
auch auf die Schulausgangsschrift zu. --- Sowohl in der Lateinischen Ausgangsschrift als auch in der Schulausgangsschrift helfen bei den Kleinbuchstaben - mit wenigen Ausnahmen - Aufstriche bzw. Anknüpfungsbögen beim verbundenen Schreiben.
|
|
Anknüpfungsbögen
am
Abschluss
der Groß- wie auch der Kleinbuchstaben (von Lehrerinnen als "Anfasser"
benannt) sowie Aufstriche bzw. Anknüpfungsbögen am Anfang der
Buchstaben (ebenfalls sog. "Anfasser") geben den Kindern Hinweise, die
Buchstaben miteinander zu verknüpfen. Anknüpfungsbögen am Anfang der
Buchstaben als Hilfen, also dort, wo sie besonders wichtig sind, fehlen in der Grundschrift dagegen
weitestgehend. (Siehe
Tafel 8!)
Bezüglich der Grundschrift empfindet Brügelmann dennoch nichts dabei, diesen
Hinweis zu
formulieren: "Sie ist eine mit der Hand geschriebene
Druckschrift, deren Buchstaben
bereits Ansätze für Verbindungen
enthalten." (Hervorhebung d.
d. Autor)
(http://www.grundschulverband.de/fileadmin/aktuell/Grundschrift/Juni.11.brue_SPIEGEL_online_11_grundschrift_handschrift_hamburg_PRO_110629.pdf/Stand
29.08.2015)
Was
Brügelmann verschweigt:
Im
Gegensatz zur Grundschrift helfen den
Kindern die
Schulausgangsschrift u. die Lateinische
Ausgangsschrift mit einer wesentlich höheren Anzahl an
Ansätzen/Verbindungs- u. Orientierungshilfen
Tafel 14
Es zeugt geradezu von Lust auf Desinformtion, wenn
Brügelmann Lehrerinnen/Lehrern und Eltern
gegenüber in Vergleichen mit der Schulausgangsschrift und der
Lateinischen Ausgangsschrift die besonderen Vorzüge der Grundschrift
mit dem Hinweis hervorhebt, die Buchstaben der mit Hand geschriebenen
Druckschrift enthielten bereits Ansätze für Verbindungen, aus denen
heraus
Kinder ihre persönliche, verbundene Handschrift zu entwickeln imstande
seien. Wenn
Brügelmann
et al. viele Male erklären, dass Kinder aus den gedruckten Buchstaben
der
Grundschrift ihre persönliche verbundene
Handschrift entwickeln könnten, so widerspricht das allen seriösen
wissenschaftlichen Postulaten, in denen immer wieder betont wird, dass
die Entwicklung der Ausgangsschrift eine Aufgabe der Lehre sei. Das
mögen die Schlüsselfiguren des selbstbestimmten Lernens nicht gelten lassen. Den Lehrer
nur noch als Moderator oder Coach sahen sie schon so, als sie
seinerzeit 'Lesen durch Schreiben'/'Schreibenleren mit der
Anlauttabelle' bzw.
den 'Spracherfahrungsansatz' in die Schulen lancierten. Dass es nun
jedoch bei der Umsetzung der Grundschrift in eine verbundene Schrift zu
Problemen kommt, ist ohne Zweifel bei Brügelmann
et al.
längst bekannt, und mit der ihnen
eigenen Schläue versuchen sie daher, die Herausforderungen auf dem Weg
zu einer verbundenen
Handschrift zu kaschieren. So
behauptet Bartnitzky:
"In
der Regel wird auch bei einer verbundenen Schrift nach drei
Buchstaben abgesetzt." Und wie steht es mit dem Absetzen innerhalb einzelner Buchstaben?
(http://www.grundschulverband.de/fileadmin/aktuell/Grundschrift/GSa110_Mai10_Grundschrift_S3-12.pdf/ Stand: 04.09.2015)
Probleme gibt es z. B. mit dem
'E'. Beim Schreiben dieses Buchstabens geriet man offensichtlich mit dem werbenden Slogan
"Schreiben mit Schwung" in
große
Not.
Zum Schreiben dieses 'E' muss nämlich das in der 'Grundschrift'
schreibende Kind innerhalb
nur eines Buchstabens bereits 4 Mal
ansetzen bzw. springen.
Die
Grundschrift: der Großbuchstabe 'E'
Tafel 15
Man behalf sich in den
beim Grundschulverband käuflich zu erwerbenden Arbeitsvorlagen mit
einem leicht
durchschaubaren Trick. Aus der Lateinischen
Ausgangsschrift bzw. der
Schulausgangsschrift entwendete man das große 'E' und bekam somit nun
endlich den Buchstaben 'E' hin - tatsächlich mit 'Schwung' geschrieben, denn: beim 'E' der Schulausgangsschrift
(Siehe unten!)
muss
das Kind nur einmal ansetzen. Fünf-
und sechsjährige Kinder, die sich weisungsgemäß das verbundene
Schreiben selber beibringen sollen, werden die unten gezeigte Form des
'E' wohl kaum selber aus dem Grundschrift-E heraus
entwickeln können. Über solche Situationen der Ratlosigkeit freuen sich
die Grundschrift-Profiteure: Da kann nun das zur Grundschrift gehörige
Übungsmaterial des Grundschulverbands (Kleeblatt-Heft 3)
dringend empfohlen werden. Selbst mit dessen
'Hilfe' werden die Kinder mit ihren
Eltern dann allerdings
auch noch
eine Zeit lang geduldig üben müssen, damit sie das dort in
der zweiten Schreibschrift gezeigte
große 'E' tatsächlich
'mit Schwung' zu schreiben lernen.
Schreiben
mit Schwung? 4 Mal ansetzen
beim 'großen E' in der
'Grundschrift' als 'handgeschriebener
Druckschrift' -
"Schreiben
mit Schwung" und mit einmaligem Ansetzen gelingt jedoch nur,
wenn man das E aus der
Schulausgangsschrift entwendet (rechtes Bild)
Tafel 16
|
|
*(http://www.grundschulverband.de/fileadmin/bilder/Publikationen/Kleeblatt-Hefte/Heft3_Inhalt_komplett.pdf/Stand
08.09.2015)
Bis auf eine
kleine Abweichung beim Kleinbuchstaben 'j' und beim Großbuchstaben 'J'
:
auch hier wieder kommentarlos die Übernahme der
Buchstaben aus der Schulausgangsschrift
Tafel 17
*(http://www.grundschulverband.de/fileadmin/bilder/Publikationen/Kleeblatt-Hefte/Heft3_Inhalt_komplett.pdf/Stand
08.09.2015)
Dass
die Kinder mit
Einführung der Grundschrift nunmehr nur noch eine Anfangsschrift lernen
müssen, ist wohl eine ziemliche Irreführung. Außerdem: Neben dem
Erlernen der Klein- und Großbuchstaben der Grundschrift sollen sie in
jedem Fall - wie derzeit noch
in Lehrplänen/Richtlinien gefordert - als Zweitschrift eine tatsächlich
verbundene Schreibschrift lernen. Als
geradezu kinderfeindliches Angebot ist die Empfehlung zu sehen, dass
Kinder sich diese verbundene Schrift kraft ihrer jeweiligen
Ausstattung mit frühkindlicher Kreativität und selbstbestimmt
selber entwickeln sollen - und dabei auf das verzichten müssen, was
gemeinhin als Unterricht bezeichnet wird: Auf Lehrerinnen und Lehrer
also, die sie lehrgangsmäßig mit ihrem Wissen und Können, mit ihrer
Erfahrung und mit der Pädagogik
der fachsprachlich so bezeichneten "kognitiven
Meisterlehre" in die ökonomischen Verfahrensweisen beim
Schreibenlernen einer verbundenen Schrift einweisen, sie bei
ihrem Lernen fürsorglich begleiten und sie vor unökonomischen Verfahrensweisen und vor fehlerhaften
Konstruktionsroutinen, die sich später nur schwer noch
korrigieren lassen, bewahren können.
Lehrerinnen und Lehrer
stellen beim
Schreiben/Rechtschreiben der Kinder
ungezählte Male fest, dass heute Gelerntes und Geübtes morgen schon
wieder falsch geschrieben wird. Häufige Fehler sind: Spiegelbildliche
oder gedrehte
Buchstabenformen werden verwechselt, z. B. b – d, p - q . Diese
Fehler können
bei
allen Kindern auftreten, bei
Kindern mit Lese-Rechtschreibschwächen finden sie sich jedoch viel
häufiger, sie halten sich vor allem viel hartnäckiger und sind daher
länger anzutreffen. Lehrerinnen und
Lehrer mit schon längeren Dienstzeiten berichten, dass solche Fehler in
erheblichem Umfang zugenommen haben, seitdem die Druckschrift bzw.
jetzt die Grundschrift zu Erstschriften geworden sind. Insbesondere die
Lateinische Ausgangsschrift und die Schulausgangsschrift boten den
Kindern Merkmale
an, z. B.
'b' und
'd', 'p' und 'q' zu unterscheiden:
Die
Pädagogik bleibt auf der Strecke: Verwechslungsgefahr ausgeschlossen
Tafel 18
|
|
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Tafel 19
|
|
|
Nicht wenige
Kinder haben Schwierigkeiten,
optisch
ähnliche Buchstaben zu unterscheiden. Für sie
ist nur die Form des Buchstabens wichtig,
nicht aber seine Lage im Raum. Sie betrachten die Buchstabensymbole als
dreidimensionale Objekte. Für sie ist
es unlogisch, dass ein 'M', welches formähnlich auf dem Kopf steht,
dann ein 'W' sein
soll. Besonders haben wir es mit
Verwechslungen zu tun bei 'd - b'; 'q
-
p'; 'b - p'; 'n - u; 'm - w'; 't - f'; 'S - Z'; 'W - M'; 'T
- L'; 'Z - N'. Prof. L. Schenk-Danziger
spricht von einer "optischen
Differenzierungsschwäche". (Lotte
Schenk-Danzinger: Entwicklung -
Sozialisation - Erziehung. Stuttgart 2001)
In den
Werbekampagnen für die Grundschrift
werden Grundschullehrerinnen und
-lehrer
sowie Eltern
dahingehend belehrt, die Erfindung der Grundschrift orientiere sich an Gemischt-Antiqua
(Siehe Tafel 20!), mit
deren Buchstaben die Kinder bei allen möglichen Gelegenheiten
konfrontiert
werden. Dass die gemischte Antiqua, an der sich die 'Grundschrift'
orientiert, für Schulanfänger die schlechteste aller denkbaren
Möglichkeiten ist, zum Schreiben und Lesen zu kommen, unterstrich Prof.
L. Schenk-Danziger bereits vor mehr als einem Jahrzehnt: "Auch hier
entbehrt, vor allem im Anfangsstadium des
Lesens und Schreibens in der gemischten Antiqua, alles, was im Bereich
des Geschriebenen oder Gedruckten mit rechts - links, oben - unten zu
tun hat, jeder konstanten Zuordnung. Dadurch kann es zu
seitenverkehrtem Schreiben von
Großbuchstaben und Ziffern sowie zum Verwechseln von allen
gestaltgleichen, aber verschieden gelagerten Buchstaben (d - b, g - p,
d - g, p - q, M - W, t - f) kommen." (ebd.)
Die
Vertreter der Lesen-durch-Schreiben-Versionen, wie auch jetzt wieder
die Verfechter der Grundschrift, behaupten, SchulanfängerInnen
warteten durchweg voller Spannung und neugierig darauf, endlich so
wie die Erwachsenen schreiben zu lernen. Bis auf wenige Ausnahmen
dürften die heutigen Schulanfänger allerdings private Briefe,
Tagebuch oder Geschichten schreibende Erwachsene, auch ihre Eltern,
noch nicht erlebt haben. Zudem: Die Zahl der Haushalte mit dem
Abonnement einer Tageszeitung ist erheblich geschrumpft wie auch die
Zahl der regelmäßigen Leser von Büchern in einem erschreckenden
Ausmaß abgenommen hat. Aus diesem Befund lässt sich das Fazit ziehen,
dass sich in vielen Familien das Verhältnis zur
Schriftsprache verändert
hat und auch die Kinder von diesem Wandel betroffen sein müssen. Wenn
es um die erste Begegnung mit Schriftsprache geht, so stellen
Grundschullehrerinnen und -lehrer zunehmend fest, dass die Schule
inzwischen für die überwiegende Anzahl auch der deutschen Kinder,
besonders derjenigen aus bildungsfernen Familien,
bei Null beginnen muss. Zu
denken sei auch an die vielen Kinder aus
Migrationsfamilien, die nicht nur über keinerlei Spracherfahrung mit
der deutschen Sprache verfügen, sondern in ihren Heimatländern auch
über
gänzlich andere Schriftzeichen und Schriftbilder, die nicht einmal
im Entfertesten unserer Buchstabenschrift ähnlich sind, erste Einblicke
in das
Schreiben und dessen Funktion bekommen haben. Es wird auch behauptet,
dass
die meisten Kinder bei Einschulung sogar schon ihren Namen schreiben
könnten: Auch das ist ein Irrtum, wie nicht wenige
Grundschullehrerinnen und -lehrer immer wieder erfahren. Kinder sind in
der Lage, logographische Elemente wie 'Eis',
'ARAL' oder
'LEGO' zu 'schreiben' und zu 'lesen': Sie haben sich diese
Wörter als Gestalt gemerkt. So haben sich viele Kinder auch ihren
Namen, ganzheitlich
als Gestalt - quasi als Logo -, eingeprägt. 'Alexa' kann
ihren eigenen Namen 'schreiben' und 'lesen', den Namen ihres Cousins
'Axel' aber kann sie weder schreiben noch lesen.
Wie
bereits oben
gesagt, werden in
den Werbekampagnen für die Grundschrift Grundschullehrerinnen und
-lehrer
sowie Eltern
dahingehend belehrt, die Grundschrift orientiere sich an
der Gemischt-Antiqua, mit
deren Buchstaben die Kinder bei allen möglichen Gelegenheiten
konfrontiert
werden. Das ist
allerdings ein weiteres Mal eine irreführende
Behauptung. Die Garamond-Schrift, eine
französische Renaissance-Antiqua, ist in Deutschland für
jegliches Schrifttum, insbesondere für Bücher, auch Kinderbücher,
sowie für Zeitungen/Zeitschriften die am häufigsten verwendete
Schrift. Fachleute
betonen, sie sei in Deutschland die Leseschrift
schlechthin. Garamond ist eine Serifenschrift, das
heißt, mehr oder weniger feine Linien schließen einen
Buchstabenstrich am Ende quer zu seiner Grundrichtung ab. Dass Kinder,
die die Grundschrift gelernt haben, beim Lesen von Texten z. B. auch
Probleme mit den Kleinbuchstaben 'a'
und 'g' in
Serifen-Schriften haben können, ist
unvermeidlich. Erklärungen
wie die, man habe
die
Großbuchstaben der Grundschrift aus der Gemischt-Antiqua heraus
entwickelt, sind geradezu
absurd: Die Unterschiede
zwischen Grundschrift
und Gemischt-Antiqua sind
marginal, da
kann von 'Entwicklung' keine Rede sein. Eine von Empathie für Kinder
geprägte
Pädagogik, die sich
sowohl von
den betreffenden Fachwissenschaften
als auch von
gesicherten Erkenntnissen
über die Ausgangsbedingungen der
Mehrheit der heutigen Schulanfänger leiten lässt, kann allerdings
insbesondere bei
der Entwicklung der Kleinbuchstaben der
'Grundschrift' nicht erkannt werden.
Den
unglaublichen Standpunkt
Brügelmanns
zur Grundschrift: "Aus diesen 'gedruckten' Buchstaben
entwickeln die Kinder
ihre persönliche (verbundene)
Handschrift." teilt nicht ein einziger Vertreter der tatsächlichen
Fachwissenschaften.
Die
Buchstaben
der Gemischt-Antiqua - eine serifenlose Schrift
Tafel 20
*(http://www.grundschulverband.de/fileadmin/bilder/Publikationen/Zeitschrift/GS-SPEZIAL_Grundschrift_neu_130807-Web.pdf)
Die Buchstaben
der Garamond-Schrift -
eine Serifen-Schrift:
Bekannt ist,
dass Leser sie als
besonders 'sympathisch'
empfinden
Tafel 21
Claude
Garamond
(1490 - 1561)/ Bildquelle: Wikipedia
Bis
vor nicht allzu langer Zeit gehörte es zu den selbstverständlichen
Aufgaben von Grundschullehrerinnen und Grundschullehrern, Kinder im
Verlaufe des Schriftspracherwerbs auch in das Schreiben mit einer
verbundenen Schreibschrift einzuführen: Für Eltern geschah das
erwartungsgemäß auch so, und niemand dachte daran, dass ihnen
deswegen
irgendwelche Zusatzkosten entstehen könnten. Seit Einführung der
Vereinfachten Ausgangsschrift sowie neuerdings mit der Einführung der
Grundschrift hat sich das verändert.Die
Lebenspartnerin
Brügelmanns, Prof. Erika Brinkmann, stellvertretende Vorsitzende des
Grundschulverbands, Miterfinderin der Grundschrift und Herausgeberin
eines Lehrwerks, das auf dem Konzept des Spracherfahrungsansatzes
(Lesen-durch-Schreiben-Variante) Brügelmanns aufbaut,
gibt inzwischen Lehr-/Lernmaterialien, sogar mit Lernprogramm-Software,
heraus, mit deren
Hilfe Kinder die von ihr miterfundene Grundschrift erlernen sollen.
Darüber hinaus bietet der Grundschulverband besorgten
Eltern in Sachen
'Grundschrift' zusätzliche Materialien an, die mit erheblichen weiteren
Kosten zu
Buche schlagen. An dieser Stelle wäre wieder einmal die Frage der
Zweiklassen-, oder inzwischen sogar der Dreiklassenbildungsgesellschaft
zu diskutieren.
Lernen Kinder
denn nun mit mit diesem nicht gerade billigen Materialaufwand eine
verbundene Schreibschrift? Mitnichten! Für Brügelmann et
al. steht über allen Programmen:
"Aus diesen „gedruckten“ Buchstaben entwickeln die Kinder
ihre persönliche (verbundene) Handschrift."
(http://www.grundschulverband.de/fileadmin/aktuell/Grundschrift/Juni.11.brue_SPIEGEL_online_11_grundschrift_handschrift_hamburg_PRO_110629.pdf
/Stand: 28.08.2015)
(http://www.vpm-verlag.de/index.php/abc_lernlandschaft_produktdetail/items/2045/Stand:
12.09.2015)
In welche Richtung
sich Grundschulpädagogik
und Grundschule
weiter entwickeln wird, lässt sich heute nur befürchten: Mangelnder
Sachverstand und merkantile Gier werden
wohl auch weiterhin das pädogische Handeln in der Grundschule
bestimmen. Eine Vielzahl von Vertretern der
gegenwärtigen Grundschulpädagogik hat
die Lehrerinnen und Lehrer durch ihre indoktrinierend vorgetragene
einseitige und wissenschaftsferne Lehre entmündigt, die Pädagogen
(gr./lat. = Kinderführer) haben ihre ihnen aufgetragene Rolle
inzwischen offensichtlich ganz aufgegeben.
Kinder
im Trial-und-Error-Verfahren sowie über zweifelhafte
Arbeitsmittel sich selber eine verbundene Schreibschrift entwickeln zu
lassen, hat den Charme der Idee, mit Hilfe solcher Maximen des
Lehrens und Unterrichtens auch angehende Piloten sich selber das Starten, Fliegen oder
Landen beibringen zu lassen oder den Konditorlehrling mitsamt einer
unbestimmten Fülle von Backmaterialien solange in die
Backstube zu schicken, bis er selbstgesteuert endlich nach langem Hantieren mit Mengen
und Mischungen auch die formale Lösung für das zu erstellende Backwerk
gefunden hat. Solche den heutigen
Schreibunterricht begründenden 'Unterrichtsverfahren' haben ihre
Wurzeln in
derselben Ideologie, die auch die
Lesen-durch-Schreiben-Versionen und den damit verwandten
Spracherfahrungsansatz
hervorbrachten. Nicht
weiter verwunderlich ist, dass sogar auch die Ideologen identisch sind.
Dass solche Verfahrensweisen noch mit dem Begriff 'Pädagogik'
bezeichnet werden, ist unglaublich.
Eltern von Grundschulkindern beklagen immer häufiger, dass unsere
Grundschulen zunehmend von Beliebigkeiten
und Belanglosigkeiten sowie in
fortschreitendem Ausmaß von
Ideologien dominiert werden. Durchaus zutreffend
ist in
diesem Zusammenhang der Terminus 'Ideologie', der
hier für manipulative, unzulängliche und nicht wissenschaftlich
begründete Ideen-Systeme und Theorien verwendet wird, die vor dem
Hintergrund
wirtschaftlicher Zielsetzungen der Verschleierung und Rechtfertigung
egoistischer Interessen und solcher auf Vorteile
bedachter Handlungsmaximen dienen. Anders
lautende
wissenschaftliche Erkenntnisse werden geleugnet, Kritiker werden
verunglimpft, und wider besseren Wissens wird
indoktrinierend der Anspruch auf
Allgemeingültigkeit, alleinige Wahrheit und Alternativlosigkeit
erhoben.
Mit
Pädagogik hat es ganz sicher
nichts zu tun, wenn die eifrigen
Verfechter der 'Grundschrift' die Kinder mit teuren Materialien zum
Erlernen dieser druckschriftaffinen unverbundenen Schrift zunächst
einmal überversorgen, jedoch dann,
wenn es schwierig wird, nämlich aus den dazu völlig
ungeeigneten Grundschriftvorlagen eine verbundene Schreibschrift zu
entwickeln, sie die Kinder
alleine lassen und ihnen anheim stellen, nunmehr
selbstbestimmt und kreativ aus den gelernten unverbundenen Buchstaben
zu einer flüssigen, ästhetisch ansprechenden und gut lesbaren
verbundenen Handschrift zu finden. Wie schon bei den sog. modernen
Methoden des Lesen- und Schreibenlernens geht man offenbar wieder
einmal von der Idee aus: Die Eltern werden es schon richten. Bildungsbewusste
und engagierte Eltern, die über die finanziellen, zeitlichen und
entsprechenden kompetenzbasierten Ressourcen verfügen, werden das
schulischerseits Versäumte bald aufarbeiten können. Schon bildungsbewusste
und engagierte Eltern mit Migrationshintergrund, die lediglich ihre
Schreiberfahrung mit völlig anders gearteten Schriftzeichen
mitbringen, müssen bei dieser Aufgabenstellung versagen. Wie es
Kindern aus bildungsfernen Elternhäusern geht, muss hier nicht
thematisiert werden. Es
gibt sie aber bereits zuhauf, die ratlosen und aufgebrachten Eltern,
die den
Schulen vorwerfen, nicht effektiv den Service zu leisten, für den sie
ihre Steuern bezahlen. Die Entwicklung dieser Art von vermeintlicher
Pädagogik erinnert an eine in Deutschlands dunkelsten Zeiten angedachte
pädagogische Richtung, die schulische Grundausbildung grundsätzlich den
Müttern zu
überlassen. Theodor
Scheffer, Mitglied der NSDAP, dem der Reformpädagoge Peter Petersen
(mit besonderem
Nachdruck) in 1937 zusammen mit seinen Kollegen, dem
Professor für
Rassekunde, H. F. K. Dr. Günther, dem SS-Obersturmbannführer Prof. Dr.
Astel, Rektor der Jenaer Universität und dem Reichsführer der SS,
Heinrich Himmler, zu einer Dozentur für Pädagogische Politik an
der
braunen Musteruniversität Jena verholfen hatte, forderte in seinen
Vorlesungen, "die ersten Unterrichtsjahre ganz den jungen Müttern
anzuvertrauen, inklusive Schreib-, Lese- und Rechenunterrichts."
Immerhin vergaß er aber dabei nicht auch darauf hinzuweisen, dass die
Mütter zuerst für ihre Tätigkeit ausgebildet werden müssten.
(Michael
Koch/Matthias Schwarzkopf: Pädagogische Konzepte der Jenaer
Erziehungswissenschaft in der NS-Zeit. In: Uwe Hoßfeld (Hrsg.) et al. :
»Kämpferische Wissenschaft« – Studien zur Universität Jena im
Nationalsozialismus. Köln 2003.)
V.
Ein erster
Schritt auf dem Weg zur Abschaffung der verbundenen Schreibschrift
Der deutsche Weg zum 'keyboarding' an Grundschulen
Bereits
seit 2011 zeigt die Lebenspartnerin
Brügelmanns, Prof. Erika Brinkmann, stellvertretende Vorsitzende des
Grundschulverbands, die Richtung auf, die der
Schriftsprach-/Schreiberwerb
zukünftig an Deutschlands Grundschulen nehmen soll: Mit ihrem Vortrag
"Lesen- und Schreibenlernen mit Hilfe des Computers"
macht sie deutlich, welchen Weg sie -
im Gleichschritt mit der Bildungsindustrie - für unsere
Kinder vorsieht.
(http://www.dgls.de/download/category/6-2011-mitgliedertagung.html?download=54:erika-brinkmann-lesen-und-schreibenlernen.)
Wie Prof. Brügelmann (s. o. !) dürften auch den übrigen Netzwerkern des
Grundschulverbandes der Niedergang der Handschrift, die schlechte
Rechtschreibung, die
hohe Schriftverformung und die schlechte Lesbarkeit nicht entgangen
sein. Dabei hatten gerade sie sich vor Jahrzehnten, daran
sei noch einmal erinnert, in den
meisten
Bundesländern mit ihrer Forderung durchgesetzt:
"Ausgangsschrift für das Lesen und Schreiben ist die Druckschrift. Im Zuge der Verflüssigung des Schreibverlaufs und der individuellen Ausprägung der Schrift entwickeln die Schülerinnen und Schüler später aus der Druckschrift ihre persönliche Handschrift." (Land NRW: Richtlinien/Lehrpläne für die Grundschule. 2003)
Lehrerinnen und Lehrer an den weiterführenden Schulen, Lehrlingsausbilder und Eltern beklagen dauerhaft die Folgen dieses amtlichen Erlasses. Dass sich die Kinder nunmehr mit Einführung der Grundschrift wiederum selbstbestimmt und kraft ihrer jeweiligen Ausstattung mit frühkindlicher Kreativität ihre verbundene Schreibschrift selber entwickeln sollen, und das ausgerechnet aus der 'Grundschrift' heraus, einer - wie an Beispielen erläutert - geradezu eher kinderfeindlichen Ausgangsschrift, legen die Annahme nahe, dass die Schreibergebnisse zukünftig noch kläglicher ausfallen werden. Immer noch setzt die deutsche Pseudopädagogik auf nette Ideen, während man weltweit nach empirisch abgesicherten Erkenntnissen lehrt. Hinreichend bekannt ist: Die empirische Forschungskompetenz in der deutschen Erziehungswissenschaft ist stark unterentwickelt. Der Sprachdidaktiker Maik Philipp, auf der Suche nach empirisch abgesicherten Studien zur Lehr- und Lernforschung, sah sich im Ausland um und wurde gleich zigfach fündig: mit erstaunlichen Erkenntnissen. (in: Lese- und Schreibunterricht.Tübingen/Basel 2013) Als besonders wirksam für den Lernerfolg zeichnete sich dort der Unterricht nach der so genannten "kognitiven Meisterlehre" aus, die sich an der traditionellen Handwerkslehre orientiert:0
Der Meister demonstriert einen Werkablauf bis zur Fertigstellung eines Produkts – der Lehrling wiederholt mit der Unterstützung des Meisters den Werkablauf, übt darauf mehrere Male noch mit der (nach und nach abnehmenden) Unterstützung des Meisters – das eigenständige Üben schließt sich an, wovon Philipp sagt, es sei "etwas, das jeder erfolgreiche Sportler und Musiker ebenfalls tun muss. (Ericsson, 2006)". (ebd.)
Nach
einem in den USA hochgeachteten Pädagogen, Prof. Rosenshine,
referiert M. Philipp in seinem Plädoyer "für die direkte,
explizite Vermittlung kognitiver Fähigkeiten" (ebd.):
"Nach allem, was bekannt ist, ist es günstig, Strategien direkt und explizit zu vermitteln. Das bedeutet, dass die Lehrperson vormacht und kommentiert, wie eine Strategie in der Anwendung aussieht, ehe die Schüler sie kleinschrittig anwenden und üben. Diese lehrpersonzentrierte Vermittlung dient dazu, ein Maximum an Struktur und Sicherheit zu geben, während es erklärtes Ziel ist, dass Schüler Fähigkeiten aktiv erwerben (Rosenshine, 2008)."
"Den
Einsatz von Methoden und Vorgehensweisen, die nicht auf ideologischen
Moden basieren, sondern empirisch fundiert sind - wie in anderen
Ländern weltweit bereits der Fall.", fordert auch
Erziehungswissenschaftler Prof. M. Wellenreuther und verweist auf die
forschende internationale
Wissenschaft:
"Warum minimale Hilfen während des Unterrichts nicht
ausreichen: Eine Analyse des Versagens konstruktivistischen,
entdeckenden, problembasierten, experimentellen und entdeckenden
Unterrichtens (vgl. Kirschner, Sweller, Clark 2006)." (http://www.rpi-virtuell.net/workspace/3719FF1D-F109-402F-96DA-702285484082/dats/2010/tol-schule/wellenreuther-paedagogische-wende.pdf/09.05.2014)
Dass
Schüler durch direktes Instruieren, Vormachen und durch direktes
verständliches Erklären schneller und effektiver lernen als mit
offenen Lernmethoden und dieses Wissen auch auf neue Situationen
transferieren können, finden wir in nicht mehr zählbaren
anglo-amerikanischen Studien, zuletzt bei Hattie, in Deutschland
gewissenhaft aufgearbeitet auch bei Prof. M.Wellenreuther
(forschungsbasierte
Schulpädagogik). (Martin
Wellenreuther: Lehren und Lernen – aber wie? Baltmannsweiler 2014)
Auch Stanislas
Dehaene, einer der weltweit führenden Kognitionswissenschaftler
(Professor am Collége de France, Inhaber des
Lehrstuhls für Wahrnehmungspsychologie mit Tätigkeit
im Forschungsbereich 'Grundlagen des Lesens, Schreibens und
Rechnens', 2005 Aufnahme in die Académie des
sciences) weist in seinem Buch "Lesen" (München
2010) unentwegt
darauf hin, nach welchen Prinzipien der
Anfangsunterricht gestaltet werden muss. Hier
einige wenige seiner Formulierungen, wenn es
um die Anfänge des
Lesens und Schreibens geht und der Unterricht für möglichst viele
Kinder erfolgreich
sein
soll.
dem Kind sollte "ohne Angst vor Wiederholungen beigebracht werden, wie ..."
"Man muss ihm deutlich erklären, dass ... "
"Die Grapheme sollen in logischer Reihenfolge eingeführt werden; ..."
"Die Kinder müssen darauf hingewiesen werden, dass ... "
"Viel wichtiger ist aber, auf das hinzuweisen, was man nicht tun sollte."
.....
Im Ausland nimmt man die
derzeitige
deutsche Grundschulpädagogik
als
gefährliches Laienspiel wahr,
der ehemalige Bildungsminister Luc
Ferry hält die
deutsche Grundschule für "extrem modernistisch" und
"individualistisch". Und, wovon die deutsche
Schriftspracherwerbspädagogik nichts wissen will: Unsere
Schriftsprache achtet er als ein uns
übermitteltes kulturelles Erbe, und nicht als etwas, was ein Kind noch
erst erfinden müsste.
Noch werden sie hierzulande nur verhalten geäußert, die Forderungen,
den
Dilemmata der
hohen Schriftverformung sowie der schlechten Lesbarkeit dadurch zu entgehen, dass die Kinder
von
Anfang an ausschließlich mit dem Schreiben am Computer
programmgesteuert
in den
Schriftspracherwerb geführt werden. Mit Keyboarding also, wie in den
USA,
dort, wo sie gerade nach vielfältigen üblen Erfahrungen Staat für Staat
dabei sind, als verbindliche Ausgangsschrift 'cursive writing' - die
handgeschriebene verbundene
Schreibschrift - wieder einzuführen.
Die Großbuchstaben der Grundschrift finden die Kinder in identischen
Formen auf der Tastatur, der Wechsel zwischen Klein- und Großbuchstaben
liegt nur einen Tastendruck voneinander entfernt:
Tafel 22
Die Großbuchsaben der
Grundschrift
Die Grundschrift-Gemeinde verbreitet
seit Langem schon ihre interessengesteuerten Botschaften, das Schreiben
einer verbundenen Schreibschrift sei längst
überflüssig geworden: Computer- und Handytastaturen ersetzen
Stift und Papier,
Formulare werden im Internet ausgefüllt. Als
2003 die Maßgabe, "Ausgangsschrift für das
Lesen und Schreiben ist die Druckschrift", in die Richtlinien/Lehrplänen für die
Grundschule (Nordrhein-Westfalen)
lanciert wurde, waren sich Fachwissenschaftler längst darüber im Klaren: Eine den Ansprüchen genügende verbundene Schreibschrift kann
sich kein Kind selber beibringen, und der Nachsatz "Im Zuge der
Verflüssigung des
Schreibverlaufs und der individuellen Ausprägung der Schrift entwickeln
die Schülerinnen und Schüler später
aus der Druckschrift ihre
persönliche Handschrift."
wird als eine ziemlich hohle Phrase in die Geschichte der
Schreibpädagogik eingehen. Wie das mit dem "später" schon damals gemeint
war, erklärte Brügelmann für Spiegel-online am 29.6.2011:
"Lehrerinnen,
denen die ästhetischen Gestaltungsmöglichkeiten der Schrift wichtig
sind, können diese auch in
ihrem Kunstunterricht entwickeln.
Unabhängig davon sollte sich die Schule (später) darum kümmern,
dass alle Kinder lernen, flüssig auf einer Tastatur zu schreiben …" (Hervorhebung d. d. Autor)
("http://www.grundschulverband.de/fileadmin/aktuell/Grundschrift/Juni.11.brue_SPIEGEL_online_11_grundschrift_handschrift_hamburg_PRO_110629.pdf/15.09.2015)
Eine Bilanz ließe
sich so formulieren:
Die Schule muss es nicht länger als ihren Auftrag betrachten, sich der höchst komplexen Aufgabe zu stellen, den Kindern eine verbundene Schreibschrift beizubringen, das bleibt den Kindern - selbstbestimmend - überlassen.
Die Schule erhält den Auftrag, sich darum zu kümmern, dass alle Kinder lernen, flüssig auf einer Tastatur zu schreiben.
Für eine schulische
Entwicklung, die in diese Richtung gehen soll, müssen
sich die
Entwickler der Grundschrift tatsächlich nicht mehr mit der
multidimensionalen Problematik um die Einführung einer verbundenen
Schreibschrift befassen, da spielt auch die Frage der Verbindung von
Kleinbuchstaben keine Rolle mehr. Von daher lässt sich wohl auch der
sorglose, geradezu nachlässige Umgang mit den - gerade bei der
Grundschrift - auftauchenden Schwierigkeiten bei den
Buchstabenverbindungen erklären.
Eltern, die zu Recht als Folge der selbstbestimmten Entwicklung der
verbundenen Schreibschrift bei ihren Kindern erhebliche Schriftverformungen sowie
schlechte Lesbarkeit
befürchten, könnten jedoch eigentlich aufatmen, wenn der Computer ihnen
diese Sorge abnähme. International anerkannte
seriöse Fachwissenschaftler in zunehmender Anzahl warnen jedoch
eindringlich vor der Abschaffung
des frühen Erlernens einer verbundenen Schreibschrift.
Für
Erika Brinkmann
& Co. hat die Zukunft schon begonnen
Tafel 23
Die einzelnen Beiträge in diesem Buch
sind:
Digitalisierung in der Schule – die Cyberklasse kommt
Lesen und Schreibenlernen mit Hilfe des Computers
Literarisches und medienästhetisches Lernen mit intermedialen Lektüren
Computernutzung zum entfaltenden Schriftspracherwerb
eine App zur Herstellung von Bilder- und Geschichtenbüchern
wie Kita-Kinder mit digitalen Medien die Welt und die Sprache erkunden „Das Ypsilon in der Astgabel“
eine Abhandlung von Medienprojekten in der Schuleingangsphase
„die Grundschrift-App“ als mediengestütztes Schreibenlernen mittels der Touchscreen-Technologie
eine multimediale Lyrik-Schreib-Lernstatt
Talking Books als Lernmedium für Lernende und Lehrende
Computerspielrezensionen als Schreibaufgabe
das „Lesecurriculum“ auf dem Bildungsserver Berlin-Brandenburg
digitale Lesereisen des Österreichischen Buchklubs der Jugend
Climix.de als Wissens- und Creativseite für junge Entdecker und Entdeckerinnen
und last but not least darf natürlich Legakids mit Lurs, Lega und Steni beim Thema neue Medien nicht fehlen! Highlights aus der Lurs-Welt werden in dem Beitrag „Die Anziehungskraft neuer Medien für den Schriftspracherwerb nutzen“ vorgestellt. So zum Beispiel der Lurs-Minimator, der das Lesen erleichtert und das spannende Lurs-Abenteuerspiel, bei dem die Kinder schreiben, lesen und rechnen üben.
Das Buch erschien
etwa zeitgleich mit dem Beginn des
Propagandafeldzugs für die 'Grundschrift'. Längst ist klar, wohin die
Reise geht - und welche
Rolle die
'Grundschrift' dabei noch spielen könnte.
VI.
Wie die Kinder in der
DDR mit der Schulausgangsschrift das Schreiben lernten
Bei diesem
durch die Einführung der Grundschrift entstandenen
Schriftenwirrwarr ist völlig aus dem Blick geraten, welche Fülle
an didaktisch-methodischen Anknüpfungspunkten die
von Renate Tost entwickelte und 1968 in der DDR eingeführte
Schulausgangsschrift für den zeitgemäßen Anfangsunterricht zu bieten
hatte und hat.
Wenn
ehemalige DDR-Lehrerinnen und -Lehrer sowie einstige
DDR-Grundschülerinnen und -Grundschüler berichten, sie hätten in der
Grundschule nicht die Druckschrift zu schreiben gelehrt bzw.
gelernt, so ruft das
bei vielen erhebliches Erstaunen hervor, manche mögen dem auch keinen
Glauben schenken - was aber falsch wäre. In dem seit 1968 gültigen
Lehrplan der DDR fanden die Lehrerinnen und Lehrer eine Fülle von
Anweisungen zur Lehre vom "Schreiben der Buchstaben und deren
Verbindungen der Schulausgangsschrift" *, nach der "den Schülern in
zunehmendem Maße das Umsetzen der Sprache in Schrift ermöglicht" *
werden sollte. In einer als 'Kompetenz' formulierten Zielsetzung wurde im Kapitel Lehrplan/Deutsch
ein einziges Mal die 'Druckschrift' erwähnt:
"Sie können Wörter
und Sätze aus Druckschrift in Schreibschrift übertragen."*
*(Ministerrat der
Deutschen
Demokratischen Republik/Ministerium für Volksbildung: Lehrpläne Klasse
1. Berlin 1968)
Miteinander
verknüpft lernten die Kinder
die verbundene Schreibschrift als Schreib- und Leseschrift,
die Druckschrift als Leseschrift.
Dass
die
Kinder der DDR
damals kleinschrittig und nach der Pädagogik der "kognitiven
Meisterlehre", die in der aktuellen seriösen
Wissenschaft als besonders wirksam für Unterricht in der
Grundschule gehalten wird, in den Schrifterwerb geführt
wurden, lässt sich in den Lehrplänen der DDR nachlesen. Wie die
Lehrerinnen und Lehrer die dort aufgeführten Ziele erreichten, war
sicherlich auch von
deren methodischem Repertoire abhängig. Auf den Fibelseiten waren die
jeweils thematisierten Buchstaben in ihren vier Erscheinungsformen in
dem sogenannten Viererfenster dargestellt:
Viererfenster
Tafel 24
Erarbeitung
der Lesebuchstaben 'R' - 'r' sowie deren Schreibschriftform
(http://www.pedocs.de/volltexte/2011/4715/pdf/Renate_Tost_1986_Schreibunterricht_D_A.pdf)
Tafel
25
Nachdem die
Kinder die verbundene Schreibschrift sicher erworben hatten,
lernten sie ab Klasse 2 eine Form der
Weiterentwicklung der
Schulausgangsschrift: die
Gleichstrich-Kursiv-Schrift zum Schreiben von
Eigennamen und zur
Beschriftung von Zeichnungen, genannt auch "Beschriftungsform". Die
Weiterführung der Schulausgangsschrift zur Antiqua-Kursiv als
Schulschrift-Kursiv erfolgte im Kunstunterricht
in den Klassen 4 und 5. Nebenbei
bemerkt: Ganz sicher gibt es sinnvollere Tafeltexte als "Reiner soll
rollen", aber um dieses Problem geht es hier auch nicht.
Beschreibung der
Schulausgangsschrift, der Gleichstrich-Kursiv-Schrift, der Antiqua-Kursiv
Tafel 26
(https://de.wikipedia.org/wiki/Schulausgangsschrift)
Die
Schulausgangsschrift und die Ansätze ihrer Vermittlung, die die
sogenannten
Reformpädagogen nun durch die Einführung der Grundschrift zu entsorgen
bemüht sind, stellt sich als eine in Gänze kindorientiert geformte und
den Erfordernissen der Zeit angepasste Schrift dar, was hier,
insgesamt jedoch nur beispielhaft und
unvollständig, resümiert werden kann:
die Klarheit und wohlkalkulierte Formung der einzelnen Buchstaben, alleinstehend oder im Verbund, die Kinder - im Gegensatz zur Grundschrift - tatsächlich zum "Schreiben mit Schwung" auffordern und den Kindern im Laufe der Schulzeit den Weg in die persönliche Handschrift erleichtern
Aufstriche bzw. Anknüpfungsbögen vor und hinter den Kleinbuchstaben (mit wenigen Ausnahmen), die Kindern beim verbundenen Schreiben helfen
das
Konzept der schulischen Vermittlung der
Schulausgangsschrift als einzige verbundene
Schreibschrift ohne den Umweg über die Druckschrift
das
Konzept, mit dem im
Zeitalter der Tastatur der Entwicklung Rechnung
getragen wird, dass die Druckschrift
fast ausnahmslos zu einer bloßen Leseschrift geworden ist
das Konzept, nach dem erst im Laufe der Klasse 2 die auf der Schulausgangsschrift aufbauende Gleichstrich-Kursiv-Schrift, genannt "Beschriftungsform", eingeführt wird, lebensnah gedacht zum Schreiben von Eigennamen, zur Beschriftung von Zeichnungen, zum Ausfüllen von Formularen
die druckschriftaffinen Großbuchstaben, so dass Kinder sie mühelos auch auf der Tastatur finden werden.
Es
ist
nicht zu
verkennen, dass die Grundschulkinder in der DDR
manch ideologischer Indoktrination ausgesetzt waren. Dass ihre Kinder
Opfer
wildwüchsiger Reformpädagogik mit viel Sinn fürs Merkantile und einer nach
immer
mehr Umsatz gierenden Bildungsindustrie werden könnten, mussten die
DDR-Eltern seinerzeit
jedoch nicht
befürchten. Immerhin: Nach der Wende fanden seriöse Wissenschaftler (z.
B. Prof. May, Hamburg/Siehe unten!) in Studien heraus, dass die
DDR-Kinder sowohl im
Rechtschreiben als auch im Schreiben von Aufsätzen den westdeutschen
Kindern hoch überlegen waren.
VII.
Wie
Kinder in Frankreich schreiben
lernen
(Ministère
de l’éducation nationale/Juin
2013)
Das lernen alle
französischen Kinder bereits in der 'école maternelle', im Kindergarten
Tafel
27
(http://cache.media.eduscol.education.fr/file/premier_degre/05/9/Document_accompagnement_polices_de_caracteres_cursives_V2_295059.pdf/Stand:
16.09.2015)
Eine Schreibprobe in
der Schrift, die alle
französischen Kinder lernen
Tafel 28
(ebd.)
Die
geschwungenen
Großbuchstaben lernen die Kinder erst in der Grundschule
Tafel 29
(ebd.)
Bei 'Arte', dem
deutsch-französischen Kulturkanal, findet man einen von Elisabeth
Fétizon angestellten Vergleich zum Lesen- und Schreibenlernen in
Frankreich und Deutschland. Hier ein Auszug, der einen guten Überblick
darüber vermittelt, wie Frankreichs Kinder schon in der éc0le
maternelle (Kindergarten/Vorschule) in das Schreiben der verbundenen
Schreibschrift,
der
'écriture cursive', eingeführt werden:
"In
Frankreich lernen die Kinder schon
in der
Vorschule, alle Buchstaben zu schreiben. Erst große Druckbuchstaben,
dann kleine Schreibschriftbuchstaben. Die geschwungenen
Großbuchstaben kommen erst in der Grundschule dran. Vorerst
wird das Kind mit den Schreibbewegungen durch Malen, Zeichnen
und grafische Übungen vertraut gemacht. Das Kind lernt horizontale
und vertikale Linien, Diagonalen und Kreise zu erkennen. Die malt es
erst groß, dann immer kleiner, bis es die Buchstaben seines Namens
daraus bilden kann. Spiralen, Kurven und Schlingen sind später
dran.
In der "grande section",
große Gruppe,
also in der dritten Vorschulklasse, führt die Lehrerin das
Schreibschrift - 'o' ein. Ein Kreis, der gegen den
Uhrzeigersinn gezeichnet wird und oben rechts einen Schnörkel hat,
mit dem man das o an andere Buchstaben anhängen kann, wie in "moto",
Motorrad, "dodo", Schläfchen (?)*, oder "Marco hat ein
Motorrad". Die Kinder können zwar noch nicht lesen, durch die
Schreibübungen verstehen sie aber, dass die Schrift eine Bedeutung,
einen Sinn hat. Damit sie eine schöne Handschrift bekommen,
kontrolliert die Lehrerin die richtige Haltung des Stifts zwischen
Daumen und Zeigefinger und überprüft, dass das Heft im rechten
Winkel zur Tischkante liegt und das Kind gerade sitzt. Wenn sie in
die Grundschule kommen, sind die Kinder fähig, die gelernten
Buchstaben zu erkennen, sie zu schreiben und zu verbinden. Jetzt
sind sie also so weit, richtig Lesen und Schreiben zu lernen."('?' - Einfügung d. d. Autor)
(http://www.arte.tv/magazine/karambolage/de/die-art-und-weise-das-schreibenlernen-karambolage/Stand:
16.09.2015)
Außer später im
Kunstunterricht lernen
französische Kinder ansonsten nicht eine an
Druckbuchstaben sich
orientierende handgeschriebene unverbundene Schrift zu schreiben. Was
seinerzeit
in der DDR für das Erlernen der Schulausgangsschrift galt, gilt auch in
Frankreich:
"Quand
les enfants apprennent les lettres cursives, on leur dit que ce sont
les lettres pour écrire pas celles de la lecture, des livres."/"Wenn
die Kinder die Buchstaben der Schreibschrift
lernen, sagt man ihnen, dass das die Buchstaben zum Schreiben - und
nicht die der Lektüre, also der Bücher sind."
Damit mag es auch
zusammenhängen, dass in
Frankreich kaum Schülerinnen
und Schüler aus ihrer
verbundenen Schreibschrift heraus so etwas wie eine 'persönliche
Handschrift' mit
unverbundenen Druckbuchstaben entwickeln. Lediglich bei den
Großbuchstaben an Satzanfängen oder in Eigennamen verwenden Franzosen
die 'majuscules' in der Variante als
Druckbuchstabe, dann unverbunden mit dem Rest des Wortes: In der Regel
bieten auch die im Internet angebotenen Schrift-Fonts nur dies
als Möglichkeit an, was sich natürlich dann auch zeigt, wenn deutsche
Texte in der französischen Ausgangsschrift geschrieben werden:
Die vom 'Ministère
de l’éducation nationale' im Juni
2013 ins Internet gestellte Seite (s.o.!) lässt keinen Zweifel daran:
Die Erstschrift
wird den Kindern in Frankreich kleinschrittig von Lehrerinnen und
Lehrern beigebracht, damit auch
schwächere Kinder nicht zurückbleiben.
Es ist allerdings nicht so, dass es
in Frankreich nicht auch jene
merkantil orientierte Pseudopädagogik und die nach noch höheren
Gewinnen
gierende Bildungsindustrie gäbe. Sie propagieren - folgenlos - den von
Finnland
eingeschlagenen Weg: das Tastaturschreiben von Anfang an. Frankreichs
Linguisten und Kognitionswissenschaftler, allen voran der oben bereits
erwähnte Stanislas
Dehaene, einer der weltweit führenden
Kognitionswissenschaftler, berufen sich dagegen in ihrer Argumentation
auf die internationale
Forschungslage und fordern für die Grundschulen "l’apprentissage
simultané de
l’écriture et de la lecture, avec une insistance sur
l’écriture cursive" ("Simultanes
Lernen von Lesen und Schreiben mit
nachdrücklicher Betonung der verbundenen Schreibschrift"). Das
französische Schulministerium (Ministère
de l’éducation nationale) hat 2013 die
Forderungen der Wissenschaftler, die u. a. aus der Langzeitstudie 'P.A.R.L.E.R.' ('Parler Apprendre Réfléchir Lire
Ensemble pour Réussir') resultieren, in entsprechenden
landesweit verbindlichen Erlassen verarbeitet.
Die Initiatoren dieses Projekts 'P.A.R.L.E.R.':
"Jean-Michel
Blanquer, directeur de l’enseignement
scolaire, Marie-Danièle Campion, recteur de l’académie de
Clermont-Ferrand et Stanislas Dehaene, psychologue cognitif, professeur
au Collège de France et académicien, évoquent le projet P.A.R.L.E.R.
développé dans l’Académie de Grenoble."
Die Realisierung dieses Projekts erfolgte durch:
"... une équipe de recherche du Laboratoire des Sciences de
l’Éducation de l’Université Pierre-Mendès-France de Grenoble et menée
par Michel Zorman (médecin et chercheur, groupe 'Cogni-sciences', de
cette université et du centre de référence des troubles du langage du
Centre hospitalier universitaire de Grenoble)."
VIII.
Die
internationale Wissenschaft fabuliert nicht -
sie hilft den Kindern effektiv auf der Basis solider Forschung
Immer
wieder gibt es bei 'Elternbriefe-online'
Anfragen, die sich damit befassen, auf welchen Wegen wohl solche
Konzepte wie 'Lesen durch
Schreiben'/'Spracherfahrungsansatz'/'Schreibenlernen "nach Gehör" u.
mit der Anlauttabelle' und
jetzt die 'Grundschrift' in die Schulen gelangen konnten. Die
Antwort darauf finden wir bei Gisela Gravelaar, Leiterin der
münsterländischen
Wartburg-Grundschule und Vorstandsmitglied im nordrhein-westfälischen
Zweig des Grundschulverbandes. Schon
seit Jahren macht sie
sich für die
Einführung der neuen 'Grundschrift' stark – einer Erfindung
eben jenes Verbandes, den Gravelaar vertritt. Am
2.
März 2012 erklärte sie in
'yangofamily', dem
Familienmagazin der Westfälischen Nachrichten:
"Als
die Grundschrift hier an der Schule vorgestellt wurde, waren alle Kollegen sofort begeistert.
Nach ein bis zwei Jahren
werden wir unser Vorhaben evaluieren, und ich bin mir sicher, dass wir
die Grundschrift dann beibehalten." (Hervorhebung d. d. Autor)
Fragen
nach den empirischen Belegen haben bei Innovationen in den Grundschulen
vor Ort keinen
Platz. Ihre eigene Begeisterung und der Spaß für sie selber haben
leider sogar hinsichtlich
weitreichender didaktischer Entscheidungen bei nicht wenigen Lehrerinnen und Lehrern
Vorrang. Dieses
Gebaren von
Lehrerinnen und Lehrern -
gekauft wie gesehen als Spontanentscheidung - dürfte es in keinem
anderen Berufsfeld geben. Grundschullehrerinnen und
-lehrer befinden
sich allerdings in einer privilegierten Situation: Die schädlichen
Wirkungen/Nebenwirkungen ihrer schulischen Konzepte und Methoden können
bei den geschädigten Kindern in der Regel oft erst nach Jahren in ihrem
vollen Ausmaß erkannt werden, zu Zeitpunkten, da Fördermaßnahmen dann
nur noch den Charakter von Reparaturversuchen haben können.
Schuldzuweisungen ergehen dann an die anderen, die Eltern etwa oder die
Lehrer an den
weiterführenden Schulen - oder gar an die per Methode geschädigten
Kinder.
Leser
dieser Seiten wundern sich immer wieder darüber, mit welcher
Bestimmtheit Brügelmann
Formulierungen entwickelt, die von seriösen Wissenschaftlern so nicht
zu
erwarten sind. Brügelmann verhöhnt geradezu bisweilen mit
seinen Statements
die Leser
und
Kritiker seiner Schriften und diskreditiert die wissenschaftlichen
Arbeiten des bereits oben erwähnten weltweit
renommierten
Wissenschaftlers Prof.
Dr. Stanislas Dehaene und beispielsweise auch die des Prof. Dr. med.
Dr.
phil. Manfred Spitzer (Gründer des Transferzentrums für
Neurowissenschaften und Lernen, Leiter der Psychiatrischen
Universitätsklinik in Ulm, kognitiven Neurowissenschaft und
Psychiatrie, Gastprofessuren und Forschungsaufenthalte in den USA, u.
a. Harvard University sowie am Institute for Cognitive and Decision
Sciences der University of Oregon):
"Neben
gesellschaftkritischen Hinweisen zur Verdrängung der Handschrift
durch digitale Medien (vgl. Füller 2015) werden auch Befunde der
Lern- und Hirnforschung zur Bedeutung des Schreibens mit der Hand
für die Entwicklung kognitiver Fähigkeiten ins Spiel gebracht (z.
B. bei Dehaene 2009; Tan u. a.
2013; Mueller-Oppenheimer 2014). Diese
bzw. ihre viel zitierte Zusammenfassung durch Konnikova (2014) werden
in Bezug auf die Kontroversen über den Schreibunterricht in
deutschen Schulen allerdings oft überinterpretiert
(vgl.
etwa Spitzer 2013; 2015;
Schmoll 2015)." (Hervorhebung
d. d. den Autor)
(http://www.grundschulverband.de/fileadmin/bilder/Publikationen/Zeitschrift/GS-a_130_Aktualisiert_Brue.schreib_druckschrift.vergleich_empirische_studien..pdf/Stand:
01.10.2015)
Dass
der Seiteneinsteiger Brügelmann als Fachfremder sich nicht den Fragen
zu
komplexen Sachverhalten der
Lern- und Hirnforschung stellen möchte, ist einleuchtend.
"Überinterpretieren": An dieser Stelle verwendet Brügelmann einen
speziellen geradezu kommunikationsfeindlichen Terminus, mit dem
sich Intellektuellenfeindlichkeit nicht deutlicher vermitteln lässt,
der allerdings darüber hinaus auch gewisse Züge von Geringschätzung der
Rezipienten seines
Elaborates aufweist.
Man kann sich wohl auch kaum der Vermutung erwehren, dass er es mit
seiner Formulierung darauf anlegt, den eigenen bequemen und
irrationalen Widerstand gegen die
internationale Forschung verbindlich als etwas
Selbstverständliches darzustellen. Er versucht der
sachorientierten Argumentation auf unglaublich billige Art und
Weise zu entgehen,
indem er Lesern und Kritikern suggeriert, es könne auch ein
Zuviel an kritischem Denken und an Recherche hinsichtlich der
Forschungsergebnisse z. B. führender Linguisten, Psychologen,
Kognitions- und
Neurowissenschaftler geben.
Man muss Prof. Dr.
St. Dehaenes Buch 'Lesen - Die größte Erfindung der Menschheit und was
dabei in unseren Köpfen passiert' (Fr: 'Les
Neurones de la lecture'/E: 'Reading the Brain. The Science and
Evolution of Human Invention') nicht einmal zu Ende lesen, um zu
erfahren, wie verfehlt nicht nur die Einführung einer
teil-/unverbundenen Schrift als Erstschrift ist, man erfährt vielmehr
auch, wie wenig kind- und sachangemessen, sogar schädlich, auch die
Lernverfahren nach den Prinzipien 'Lesen durch Schreiben' sind - zu
denen auch die brügelmannsche Version 'Spracherfahrungsansatz'
gehört. Konnikova zitierte am 2. Juni 2014 in der New York Times in
ihrem Artikel "What’s Lost as Handwriting Fades" den oben erwähnten
französischen Kognitionswissenschaftler Prof. Dr. St. Dehaene:
"When we write, a unique neural circuit is automatically activated. There is a core recognition of the gesture in the written word, a sort of recognition by mental simulation in your brain. And it seems that this circuit is contributing in unique ways we didn’t realize. Learning is made easier."
(http://www.nytimes.com/2014/06/03/science/whats-lost-as-handwriting-fades.html?_r=0/Stand:
02.10.2015)
Bei intensiven umfangreichen
Recherchen fand sich kein Beleg dafür,
dass irgendein Fachwissenschaftler die Befunde Dehaenes
in Zweifel zieht: Zumal es auch längst Studien gibt, die zu ähnlichen
Resultaten führten und diese Ergebnisse bestätigen. Ausgerechnet dem
international geschätzten Neurowissenschaftler Prof. Dr. med. Dr.
phil. Manfred Spitzer
vorzuhalten, er 'überinterpretiere' die Erkenntnisse der
internationalen Fachwissenschaft, ist so außerordentlich erschreckend,
dass sich nicht so leicht eine angemessene sprachliche Formulierung für
dieses Verhalten Brügelmanns finden lässt.
Brügelmann, der
bisher mit in der Regel exotischer Argumentation allen Bedenken
entgegentrat, die
seinen
'Spracherfahrungsansatz' ('Schreibenlernen
"nach Gehör" u. mit der Anlauttabelle') in Frage stellten, kündigt
nunmehr in "Von
der Druckschrift zur persönlichen Handschrift"* für 2015 die Ergebnisse
einer neuen Studie zur 'Grundschrift an. Durchgeführt wird/wurde sie
von Dr.
Ursula Venn-Brinkmann,
Mitglied des Grundschulverbands,
der die bundesweite Einführung der "Grundschrift" betreibt. Dass in
Bremen ausgerechnet sie, zudem als Mitglied
des Grundschulverbands, dort selber als Leiterin der Studie die Wirkung
jener 'Grundschrift'
prüfen darf, die die
Lenker des Grundschulverbands im besonderen Interesse von Hans
Brügelmann und Erika Brinkmann auch in Bremer Schulen als verbindlich
eingeführt wissen wollen, findet bislang niemand anrüchig.
*(http://www.grundschulverband.de/fileadmin/bilder/Publikationen/Zeitschrift/GS-a_130_Aktualisiert_Brue.schreib_druckschrift.vergleich_empirische_studien..pdf/Stand:
01.10.2015)
"Mit der Schreibschrift
stirbt ein Kulturgut" gab das
Hamburger Abendblatt am 29.6.2011 zu bedenken. Vier Jahre später, zum
Schulanfang 2015, sehen sich die Kritiker vor ein Fait
accompli gestellt: Die Nutznießer der Abschaffung der verbundenen
Schreibschrift haben ganze Arbeit geleistet, fast deutschlandweit. Und wieder
einmal ist es so, wie es viele
Male schon zuvor
war: Eine didaktische Entscheidung mit großer Bedeutung für das spätere
Leben vieler Kinder wurde wieder einmal ohne jegliche empirische
Grundlage
getroffen. Dass es um
mehr geht als
nur um die Entsorgung eines Kulturguts, wird in den Gazetten reichlich
diskutiert, das Gros der deutschsprachigen Fachwelt indes verhält sich kollegial
oder ist, wie so oft in den letzten Jahrzehnten bei dubiosen
schulischen Innovationen, ein bisschen dafür und ein bisschen dagegen.
Bereits 1999 stellte die Grundschuldidaktikerin Renate Valtin in einem
Vortrag auf dem Würzburger
Symposium „Grundschulpädagogik
als universitäre Forschungsdisziplin“ fest:
"Auf der Ebene der grundschulpädagogischen Diskurse tauchen Ergebnisse empirischer Forschung nur in Spurenelementen auf. Auch auf der Ebene der Praxis spielt die Empirie keine entscheidende Rolle .....: alle wichtigen grundschulpädagogischen Entscheidungen (4- oder 6jährige Grundschuldauer, Einschulungsalter, Forderung nach offenem Unterricht und Freiarbeit) sind ohne empirisch abgesicherte Grundlagen getroffen worden."
(http://www.schulpsychologie.de/wws/bin/1713226-1713738-2-lands_lrs.pdf/Stand: 26.09.2015)
Valtin vergaß allerdings die Gründe
für solche Zustände zu benennen: In
Deutschland gibt es schlichtweg keine Kultur einer soliden
Unterrichtsforschung. Die Ursache für das
mangelnde Interesse an Unterrichtsforschung
mag in der über Jahrzehnte währenden deutschen
Bildungsüberheblichkeit zu suchen sein: 'Wir Deutschen sind ohnehin die
Besten!'. Eine von vielen Folgen daraus ist, dass die empirische
Forschungskompetenz in der deutschen Erziehungswissenschaft stark
unterentwickelt ist. Bei unabhängigen Erziehungswissenschaftlern gibt
es allerdings auch keinen Zweifel daran, dass z. B. auch Schulversuche
inzwischen
keine Erkenntnisinstrumente der Wissenschaft mehr sind, sondern
Machthebel der Politik. Daher wird in Deutschland über Bildung auch
vornehmlich auf der politischen Ebene diskutiert. Schulversuche sind,
wenn es sie denn ausnahmsweise doch geben sollte,
heute nicht viel mehr als "weisungsabhängige Auftragsforschung" und
dienen der Durchsetzung bildungspolitischer Zielvorstellungen. (Prof. Dr. Peter J. Brenner:
Schule in Deutschland
- ein Zwischenzeugnis, Stuttgart 2006)
Prof. Dr. J. Brenner von der Universität Köln beklagt, dass sich in den
letzten Jahren in Deutschland eine "weiche Evaluationskultur"
entwickelt habe, "für die die strengen Regeln epistemischer
Rationalität nicht oder nur einschränkend geltend gemacht werden." Es
mag auch Resignation darin mitschwingen, wenn er fortfährt: "Deshalb
haben Schulversuche gegenüber traditionellen Formen des Experiments in
der Wissenschaft einen unschätzbaren Vorteil: Sie gelingen immer."
Brenner erklärt auch, warum das nicht anders sein kann: "Denn die
Initiatoren von Schulversuchen setzten sich die Ziele ebenso wie die
Regeln selbst; ... ." In der Tat sind von daher Schulversuche - wenn
überhaupt - in nur eingeschränktem Maße aussagekräftig. Brenner: "Meist
handelt es sich um nichts anderes als um 'subjektive Erfolgsprotokolle
der Anwender' - Erlebnisberichte also." (ebd.)
Was für die Schulversuche gilt, lässt sich heute auch auf viele
Studien/Untersuchungen übertragen: Sie sind beklagenswert oft nicht
viel mehr als kostspielige interessengeleitete Veranstaltungen, die
schon in ihrer Forschungshypothese zielorientiert definiert und auch so
konstruiert sind, dass sich anschließend an Hand der Ergebnisse die der
Studie/Untersuchung zugrunde liegenden Thesen und Glaubenssätze mühelos
bestätigen lassen. Solche Verhältnisse mussten unweigerlich dazu
führen,
dass ohne Umwege über eine wie auch immer geartete Forschung inzwischen
Lobbyisten und die Bildungsindustrie mit ausgeklügelten merkantilen
Ideen insbesondere
die Grundschulen von
einer absurden Innovation in die nächste peitschen: ein rein
deutsches Phänomen.
Solide Forschung zur Bedeutung der
verbundenen Schreibschrift für den
Schrifterwerb finden wir im Ausland, in Großbritannien z. B., in
Frankreich, in Kanada, in den USA, ..... .
US-amerikanische
Eltern sind besorgt:
Bei Wegfall der Schreibschrift könnten ihre Kinder
Jeffersons 'declaration of independence' nicht mehr lesen
Tafel 30
Dass
die verbundene
Schreibschrift eine nicht
unerhebliche Bedeutung für das Erlernen bzw. für das Beherrschen der
Rechtschreibung hat, ist
allerdings auch in der deutschen Grundschulpädagogik seit Langem
bekannt. Wilhelm
Topsch berichtete bereits 1996 in seinem Buch 'Das Ende einer
Legende' (Die Vereinfachte
Ausgangsschrift auf dem
Prüfstand.
Donauwörth 1996) von
Fachwissenschaftlern wie Franz E. Weinert (1966), Heinz W.
Giese (1986), Artur u. Erwin Kern (1974), Kurt Warwel
(1980) und Wolfgang Menzel (1990), die durch ihre
wissenschaftliche Tätigkeit zu dem Ergebnis gekommen waren, dass beim
Schreiben/Schreibenlernen motorische Abläufe, sog. Engramme, im
schreibmotorischen Gedächtnis als Bewegungsmuster gespeichert werden und die Schreibbewegungen von durch Übung gesicherten Wörtern aus der motorischen Erinnerung wieder
abgerufen werden können. Prof. Brügelmann,
einer der eifrigsten Verfechter der Abschaffung der verbundenen
Schreibschrift, dürfte Kenntnis haben von der besonderen
Bedeutung der verbundenen Schreibschrift
für das Erlernen der Rechtschreibung.
Ohne jeden Zweifel kennt Brügelmann nämlich bis ins Detail
die
Ausführungen des
Grundschuldidaktikers Prof.
Dr. W. Eichlers, der
praxisbezogen die Bedeutung der
Schreibmotorik erläutert.
Eichler, inzwischen Professor emeritus,
diskutierte schließlich in seinem an Brügelmann
adressierten Aufsatz vom
22.08.2013
"Differenzierung,
Didaktisch-Methodisches 'Wie ich es machen würde!'“ die sog. "vier
großen
Lernspuren des Schrifterwerbs (Lesen und Recht-Schreiben)". Darin heißt es u.a.:
"Ein
wenig im Abseits der üblichen Blicke auf das Lerngeschehen befindet
sich die vierte Lernspur: Die Einübung
fester Engramme als Schreibbewegungsmuster in die schreibende Hand.
Dies geht natürlich nur mit einer
motorisch orientierten,
also verbundenen Schrift, in
der ganze Wörter oder
Wortteile ohne Absetzen in einem Zug geschrieben
werden. [.....] Diese Engramme kann man mit
geschlossenen Augen, also auch ohne visuelle Kontrolle,
niederschreiben. Kinder, die eine verbundene Schrift
lernen, schreiben kleine Wörter
und Wortteile wie der, ein
aber auch -heit,
-keit erstaunlich schnell und ohne nachzudenken
richtig, obwohl diese Wörter
Rechtschreibschwierigkeiten beinhalten, die eigentlich noch nicht
gemeistert werden, vgl. Walt,
Aazt, rain usw. Vor allem Kinder,
die wortschatzorientiert üben dürfen, also einige Wörter immer
wieder schreiben, profitieren von diesen Engrammen – dem Konzept
des 'kleinen motorischen (Schreib-)Wortschatzes'.
[.....]
Der
weiterführende Rechtschreibunterricht im Bereich der 3. Lernspur
(explizite Rechtschreibbewusstheit) und der 4. Lernspur
(Schreibmotorik) orientiert sich jetzt
zum Einen relativ strikt an den empirisch abgesicherten Kompetenzstufen nach Regeln und Rechtschreibschwierigkeiten,
zum Zweiten an der Gewinnung einer orthographischen Selbstständigkeit, Arbeit mit Hilfsmitteln und Befähigung zum Selbst-Training,
zum Dritten zwecks Integration und Automatisierung an reichlich angebotenen Schreibgelegenheiten zur Gewinnung ausgeschriebener Engramme (Schreibwortschatz) einschließlich der Anregung, kleine Texte zu verfassen und
zum Vierten an der kompensierenden Förderarbeit mit schwächeren Schülerinnen und Schülern.
[.....]
Mir
geht es bei der Schaffung vielfältiger
Schreibanlässe aber vor allem darum, möglichst
viele Engramme
durch wiederholtes Schreiben in die Hand einzuprägen. Und
dafür ist fast jedes Mittel recht, z.B. auch kleine
Texte mehrmals umschreiben, mehrere Korrekturgänge mit Stilvarianten
und Schreibungen
probieren und identifizieren (s.o.) sowie ein abschließendes
„Schönabschreiben“ für ein
gemeinsames Buch und, und … . Wichtig
ist, dass Wörter
jeweils mehrfach geschrieben werden, so dass sie sich ganz oder
zumindest als Wortteile einprägen und zugleich der Kontrolle
durch das visuographische Lexikon unterzogen werden." (Hervorhebung
d. d. Autor)
(Eichler
contra
Brügelmann/https://dl.dropboxusercontent.com/u/21116330/eichler.13.sea_rsu.eigenes_konzept.130911.korr.pdf/Stand
01.11.2013)
Eichlers Prozedere bezüglich des
Schrifterwerbs wird international von kompetenten
Fachwissenschaftlern gestützt. Der pädagogische Seiteneinsteiger
Brügelmann (mehr dazu unter:
http://www.grundschulservice.de/Elternbrief%20Nr.%2013.htm/Kapitel
XIX.) mochte
sich bislang nicht zu Eichlers Pädagogik - in deren Zentrum allein das
ehrliche
Bemühen um die Zukunft von Kindern steht - äußern, Brügelmann betreibt
vielmehr
unbeeindruckt und mit rastlosem multimedialen Engagement weiterhin die
Geschäfte
des
Grundschulverbands und seiner Lebenspartnerin, der
Lehr-/Lernmittelherausgeberin E. Brinkmann, und kämpft für die
generelle Einführung der 'handgeschriebenen
'Druckschrift'. Besonders
übel zu nehmen ist dem Professoren-Duo Brügelmann/Brinkmann, dass sie
mit ihrem Gebaren wissentlich unendlich viele Kinder um die Chance bringen, auch die von Eichler
beschriebene 4.
Lernspur auf dem Weg zu einer gefestigten
Rechtschreibkompetenz nutzen zu können.
Professorin
Dr. U. Bredel, Germanistikprofessorin in
Hildesheim mit Forschungsschwerpunkt
Orthografiedidaktik, beklagt, dass auch dieser schulischen Innovation, also
der Einführung der Grundschrift, - wie in Deutschland
üblich - kein wissenschaftlich gut begleitetes
Pilotprojekt vorausging: "Stattdessen wird das Experiment ohne
fundierte Kenntnisse des
Prozesses am lebenden Subjekt durchgeführt." Professorin Bredel
betont, wobei sie sich auf zahlreiche Studien der internationalen
Fachwissenschaft stützen kann, dass das Erlernen einer verbundenen
Handschrift positive
Auswirkungen auf die Sprach- und Rechtschreibkompetenz von Kindern
hat. Sie weist auf Untersuchungen hin, dass das Handschreiben ein
"komotorischer" Prozess sei: "Dabei
werden nicht einzelne Buchstaben isoliert verschriftet, sondern
Buchstabenfolgen, die sprachlichen Einheiten, überwiegend Silben und
Morphemen entsprechen. Gute Schreiber rhythmisieren entlang von
Silben und Morphemen, schwache Schreiber schreiben häufig
arhythmisch, bestenfalls rhythmisieren sie anhand einzelner
Buchstaben. Verbundene Schriften ermöglichen Schülern sprachliche
Einheiten als verbundene Einheiten zu lernen."
(http://www.welt.de/kultur/article136378628/Es-ist-gut-fuers-Gehirn-mit-der-Hand-zu-schreiben.html/Stand:
12.11.2015)
Die weltweit wegen ihrer Forschertätigkeit auf dem Gebiet des
Schriftspracherwerbs anerkannte Professorin Diane Montgomery von der
Middlesex University in London kommt in ihrer Arbeit 'The
Contribution of Handwriting and Spelling Remediation to Overcoming
Dyslexia' zu ähnlichen Ergebnissen:
The research of Early (1976) advocated the exclusive use of cursive from the beginning. This was because it was found that the major advantage of cursive lay in the fact that each word or syllable consists of one continuous line where all the elements flow together. This means that the child experiences more readily the total form or shape of a given word as he or she monitors the kinaesthetic feedback from the writing movements. Handwriting therefore supports spelling and this contributes to literacy development"/"In seiner Studie von 1976 plädierte Geoge H. Early für den alleinigen Einsatz der verbundenen Schreibschrift von Schulbeginn an. Grund dafür war, dass man herausgefunden hatte, dass der größte Vorteil verbundener Schreibschriften in der Tatsache liegt, dass jedes Wort, jede Silbe aus einer 'Schnur' besteht, an der entlang alle Elemente zusammenfließen. Das bedeutet, dass das Kind leichter die gesamte Form bzw. die Gestalt eines vorgegebenen Wortes erfährt, weil er oder sie das kinästhetische Feedback aus den Schreibbewegungen mitverfolgt. Mit der Hand zu schreiben unterstützt deshalb die Rechtschreibung, und das wiederum unterstützt die Leseentwicklung.".
(http://cdn.intechopen.com/pdfs/35808/InTech-The_contribution_of_handwriting_and_spelling_remediation_to_overcoming_dyslexia.pdf)
Vergleicht man die deutsche Diskussion um die Einführung der
Grundschrift mit den anderswo teilweise viel heftiger geführten
Debatten um den schulischen Stellenwert der verbundenen Schreibschrift,
so stellt man sehr bald fest, dass es dort um einen Kampf geht zwischen
einerseits den Lobbyisten, die jegliche Handschrift zugunsten von
digitalen Schreibmedien vom Schulbeginn an aus den Schulen vertreiben
wollen, und andererseits den erfahrenen Lehrerinnen/Lehrern und
Fachwissenschaftlern, die sich - ohne jegliche merkantile Interessen -
allein aufgrund von Erfahrungen bzw. aufgrund
der Forschungslage für eine verbundene
Schreibschrift
als Erstschrift in der Schule einsetzen. Immerhin ist die 'Grundschrift' sowohl als 'handgeschriebene Druckschrift' als auch
in Form einer 'teilverbundenen Schreibschrift'
(!) bereits
in
digitalisierter Form (als Schrift-Font) auf
dem Markt erhältlich: Was für ein Fortschritt! Alle Kinder sind
dann in der Lage, nun am Tablet dieselbe genormte 'teilverbundene
Schreibschrift' zu schreiben, individuell sind dann nur noch die
Rechtschreib- und Grammatikfehler.
Einige der inzwischen zahlreichen
internationalen Studien zur Bedeutung verbundener Schreibschriften
sollen
hier auszugsweise zitiert werden. Es handelt sich zunächst um
die
kanadische Studie "The Effects of Manuscript,
Cursive or Manuscript/Cursive Styles on Writing
Development in Grade 2", die von den Professorinnen Marie-France Morin,
(Faculté
d’éducation - Université de Sherbrooke), Natalie Lavoie (Département
des sciences de l’éducation- Université du Québec à Rimouski)
und
Isabelle Montesinos (Faculté des
sciences de l’éducation -
Université de Montréal) im Jahre 2012 veröffentlicht wurde.
(11028-36999-1-PB.pdf/Stand: 15.10.2012)
Die
Professorinnen Marie-France Morin, Natalie Lavoie und
Isabelle Montesinos sind in Kanada
wie auch in der internationalen Fachwelt keinerlei Verdächtigungen
ausgesetzt, mit ihrer Studie merkantile Interessen zu verfolgen. In ihrer Studie heißt es u. a.:
"[…..]
Yet recent work in this area
indicates that writing can only improve with at least a minimum of
teaching (direct and explicit) and frequent practice (Chartrel &
Vinter, 2004; Graham, 2010; Schlagal, 2007), especially in the early
moments of schooling. However, if quality is not worked on, practice
will ensure a certain degree of legibility though it will not
guarantee progress."/
"[…..]
Jedoch weist eine Studie in diesem Bereich darauf hin, dass Schreiben
sich nur dann verbessern kann, wenn, speziell zum Schulanfang,
wenigstens ein Minimum an direktem und
kleinschrittigem Unterricht
mit
häufigem Üben (Chartrel
& Vinter, 2004; Graham, 2010; Schlagal, 2007),
stattfindet. Wenn nicht
in
diesem
Sinne an der Schreibqualität
gearbeitet wird, kann Üben schon einen gewissen Grad von Lesbarkeit
bewirken, obwohl Fortschritte natürlich nicht garantiert werden
können." (ebd.)
"However,
we observed that Cursive students displayed more progress in word
production*
than Manuscript/Cursive and Manuscript students and that the word
production performances of Manuscript/Cursive students were
significantly weaker than those observed in the other groups. "(ebd.)/
"Wir
stellten jedoch fest, dass Schüler, die eine verbundene
Schreibschrift lernten, größere Fortschritte in der Wortproduktion*
machten als Schüler, die in Druckschrift oder in einer Mischform aus
verbundener Schreibschrift und unverbundener Druckschrift schrieben,
und dass die
Leistungen der teilverbunden** Schreibenden in der Wortproduktion
signifikant schwächer waren als die der Schüler in den anderen
Gruppen."
*Die
bei 'word production'/'Wortproduktion' gemessenen Leistungen
basierten auf der Anzahl der Wörter mit korrekter Rechtschreibung.
**
teilverbunden = Mischform aus verbundener Schreibschrift und
unverbundener Druckschrift
"We
observed that the Cursive style children also progress or progress
more than the other groups (especially in comparison to the
Manuscript/Cursive group) in the areas of word production and syntax,
two important components of writing."
/
"Wir
stellten fest, dass Kinder, die mit verbundener Schrift schrieben - besonders
im Vergleich zu denen,
die teilverbunden schrieben - auch
Fortschritte oder sogar mehr Fortschritte in den Bereichen der
Wortproduktion sowie bezüglich der Syntax
machten, zwei besonders wichtigen Bausteinen von
Schreibkompetenz ."
(ebd.)
"A
linguistic factor may also explain this difference for the Cursive
group. When students write in cursive, the very nature of this style
allows them to memorize and recall the word unit more easily, as
opposed to manuscript style --- all letters of one word are tied
together."/
"Die
Linguistik kann auch den Unterschied zur Gruppe
derjenigen, die 'verbunden' schrieben, erklären. Wenn Schüler
'verbunden' schreiben, erlauben ihnen die besonderen
Gestaltungsmerkmale dieser Schrift sich das Wort als Einheit leichter
einzuprägen und wieder abzurufen, da - im Gegensatz zur
Druckschrift – die Buchstaben eines Wortes miteinander verbunden
sind."(ebd.)
"When
we take the handwriting style into account, we can observe that
Manuscript/cursive style children do not perform as well in spelling
as the children in the other groups"./
"Wenn
wir den Schreibschriftstil fokussieren, können wir festhalten, dass die
'teilverbunden' schreibenden Kinder entfernt davon sind, die
Leistungen zu erreichen, die die Kinder in den anderen Gruppen
erbringen."(ebd.)
"Our
study raises a certain number of pedagogical issues. Firstly, there
is a need to think about the role of graphomotor skills in the
development of writing skills and to assign more importance to them
in the classroom. Secondly, it is important to support the
educational community to ensure that decisions are made to encourage
the automation of handwriting at the beginning of schooling (Tucha,
Tucha, & Lange, 2008). To this
end, direct and explicit teaching
of letter formation and frequent practice opportunities are essential
components (Graham, 2010)."/
"Unsere
Studie wirft etliche pädagogische Fragen auf. Erstens: Es ist nötig,
über die Rolle der graphomotorischen Fähigkeiten, die in der
Entwicklung des Schreibens eine Rolle spielen, nachzudenken und in
der Klasse mehr Wert auf ihre Bedeutung zu legen. Zweitens: Es
ist
wichtig, die Pädagogik darin zu
unterstützen, Beschlüsse anzustreben, die den selbstverständlichen
Beginn mit einer Handschrift von Schulbeginn an fördern (Tucha,
Tucha, & Lange, 2008).
Schließlich sei darauf hinzuweisen, dass direkter und kleinschrittiger
Unterricht bezüglich der Buchstabenformung und häufige Gelegenheiten
zum Üben von wesentlicher Bedeutung sind."(ebd.)
Die von
Brügelmann/Brinkmann und vom Grundschulverband beworbene
Grundschrift ist als eine Schrift mit einer
Mischung von 'Druckschrift' und
'verbundener Schreibschrift' konzipiert, die im Französischen
als 'écriture
script
- cursive' bezeichnet wird. Die
kanadischen Professorinnen Marie-France Morin und Mélissa Coallie
(beide Universität von Sherbrooke) haben an Hand neuster Studien
die Forschungsergebnisse bezüglich der Schriften 'écriture script',
'cursive' und 'écriture
script
- cursive' zusammengefasst:
(Betr. die Tafeln 29, 30,
31/http://www.lecture-ecole.com/dlecture/Dossier_graphomotricite_dec.pdf/Stand:
07.10.2015)
Die
Charakteristika der
handgeschriebenen 'Druckschrift und der verbundenen
Schreibschrift/Ergebnisse aus Studien
Tafel 31
Die
Vorzüge der
handgeschriebenen 'Druckschrift und der verbundenen Schreibschrift/Ergebnisse
aus Studien
Tafel 32
handgeschriebene 'Druckschrift' écriture script |
verbundene Schreibschrift cursive |
● Même
style d’écriture que pour la lecture |
● Aucune
étude n’a pu démontrer que l’écriture cursive
pouvait nuire à la lecture. (Bara et
Morin, 2009) |
● Mouvement
discontinu qui laisse à l’enfant le temps de réfléchir à la
lettre suivante |
● Tracé
qui permet une fluidité du geste qui est favorable
à l’automatisation |
|
● Style
d’écriture qui rend possible une réflexion sur la langue et
l’acquisition du concept du mot (segmentation et |
Die Ergebnisse aus den
Studien im Überblick
|
als positiv |
|
als
besonders
positiv hervorzuheben |
|
als besonders bedenklich |
Tafel 33
|
Gruppe |
Gruppe |
Gruppe |
Schreibtempo* |
● Amélioration
au cours de |
● Amélioration
au cours de l’année scolaire |
● Amélioration
au cours de l’année scolaire |
Qualität
der |
● Aucune
amélioration |
● Aucune
amélioration |
● Aucune
amélioration |
Rechtschreib- |
● Progression |
●
Progression |
● Progression
la plus faible des trois
groupes |
Text- |
● Performances
stables tout au long de
l’année scolaire |
● Progression
des habiletés syntaxiques |
● Performances
stables tout au long de
l’année scolaire |
Länge
der Texte |
● Progression |
● Progression |
● Progression |
"Dans cette
optique,
nos résultats suggèrent que la
modalité cursive est celle qui semble la plus profitable du point de
vue du développement des habiletés en écriture." (Morin, Lavoie et
Montésinos-Gelet (2011), p. 14.)
"Aus dieser Sicht
legen unsere
Resultate die Annahme nahe, dass die 'verbundene
Schrift' (cursive) diejenige ist, die im Hinblick auf die Entwicklung
der Schreibfähigkeiten am förderlichsten ist." (Morin,
M.-F., N. Lavoie et I.
Montésinos-Gelet (2011). « Enseigner l’écriture script-cursive
au primaire : une pratique pédagogique mise en question », dans
Vivre le primaire, AQEP, vol. 24, no 2, p. 9-14)
(http://www.lecture-ecole.com/dlecture/Dossier_graphomotricite_dec.pdf/Stand:
07.10.2015)
*Hierzulande
mit der
'Grundschrift' arbeitende Lehrerinnen und Lehrer wollen beobachtet
haben, dass Kinder mit dieser Schrift schneller schreiben. In einer
empirischen Untersuchung fanden die niederländischen
Fachwissenschaftler Prof. van Meulenbroek und Prof. van Galen bereits
vor 30 Jahren heraus, dass verbundene Schriften mehr an motorischer
Koordination erfordern, dass dies allerdings nur beim Erlernen dieser
Schriften eine Rolle spiele; wenn das Schreiben erst einmal
automatisiert war, verlief das Schreiben in der verbundenen Schrift
schneller als dasjenige in
Druckschrift.
(Van Meulenbroek
u. van Galen .1986)
Wenn es um das Schreibtempo geht, lassen sich allerdings in unteren
Klassen
der Grundschule Vergleiche
nicht
anstellen:
Die Testpersonen sollten über eine längere Praxis in ihrer jeweiligen Schrift verfügen, also in einer unverbundenen, teilverbundenen Druckschrift oder in der verbundenen Schreibschrift. Das Schreiben muss automatisiert sein. "Uit experimenteel onderzoek van Meulenbroek en Van Galen (1986) Continue schrijftaken vroegen wel meer motorische coördinatie, maar dit speelde alleen bij het aanleren een rol; als het schrijven eenmaal geautomatiseerd was, verliep verbonden schrift sneller dan blokschrift."/"In einer empirischen Untersuchung fanden die niederländischen Fachwissenschaftler Prof. van Meulenbroek und Prof. Van Galen bereits vor 30 Jahren heraus, dass verbundene Schriften mehr an motorischer Koordination erfordern, dass dies allerdings nur beim Erlernen dieser Schriften eine Rolle spiele; wenn das Schreiben erst einmal automatisiert war, verlief das Schreiben in der verbundenen Schrift schneller als dasjenige in Druckschrift". (Van Meulenbroek u. van Galen .1986)
Sie sollten möglichst erwachsen sein (ab etwa 18) mit voll entwickeltem Aufbau der Handknochen (Siehe Tafel 34!).
Sie alle sollten denselben Schreibschriftstil verwenden. Vergleicht man die 'Schulausgangsschrift' (Tafel 13) mit der US-amerikanischen verbundenen Schrift (cursive) (Tafel 9) oder mit der französischen verbundenen Schrift (cursive) (Tafeln 27 u. 29), wird klar, dass Schreiber mit diesen Schriften langsamer schreiben, dass hingegen Schreiber der 'Schulausgangsschrift' (Tafel 13) wegen der Formklarheit der Buchstaben wesentlich schneller schreiben.
Wissenschaftler, die solche Untersuchungen durchführen, dürfen aus nahe liegenden Gründen weder selber als Autoren noch irgendwie als wirtschaftliche Nutznießer bei der Herausgabe von Materialien zu den Konzepten 'Grundschrift' in Erscheinung treten bzw. in Erscheinung getreten sein. In Deutschland ist offenbar die Durchsetzung einer solchen Forderung nicht gesichert.
Entwicklung
des Knochenbaus in Händen
Tafel 34
(Aus: Elisabeth
Kaestner und Renate Tost: Schreibunterricht
9. Auflage. Berlin 1986)
IX.
Bartnitzky & Brinkmann
über "Luftsprünge" beim
verbundenen
Schreiben
Wer nach diesen Ergebnissen aus internationalen Studien Brügelmanns
Veröffentlichung "CDU
kritisiert unsachlich" liest, erfährt einmal mehr, dass er
selber
seinen Lesern im Zusammenhang mit der
'Grundschrift' nicht einfach nur unsachliche Behauptungen zumutet.
(Zur
Klärung des Wahrheitsgehalts der folgenden Aussage sei noch einmal auf
die Homepage des bereits oben erwähnten Diplompsychologen Götz Taubert
verwiesen: http://www.grundschrift.info/bruegelmann.htm/Stand:
17.08.2015):
"Entsprechend haben Feldstudien in den USA und in Kanada gezeigt, dass eine durchgängig verbundene Schrift eher langsamer und weniger gut lesbar ist als eine teilverbundene Druckschrift (vgl. Graham u.a. 1998; Morine u.a. 2012) – ein Ergebnis, das Meis (1963) übrigens schon vor 50 Jahren in deutschen Grundschulen gefunden hatte."
(http://www.grundschulverband.de/fileadmin/bilder/projekte/Grundschrift/09.2014Schreibschrift_und_Rechtschreibunterricht__
Brue._Bildung_und_Wissenschaft.GES.pdf/Stand
20.10.2015)
Noch
einmal ist daran
zu erinnern, dass hierzulande keinerlei wissenschaftliche
Untersuchungen
zur Wirksamkeit der von Grundschulverband, Brügelmann und Brinkmann
so penetrant beworbenen 'Grundschrift' existieren. In ihrer Veröffentlichung "Wie
Kinder gut lesbar und flüssig schreiben lernen" scheut sich auch
Prof. Brügelmanns Lebenspartnerin Erika Brinkmann nicht, eben diesen
Professor Brügelmann mit
dessen sinnfreier Feststellung zu zitieren:
"In der aktuellsten Auswertung der empirischen Studien über die Handschrift(entwicklung) und ihre Förderung kommt Brügelmann zu dem Schluss: »Im Durchschnitt erweisen sich die Varianten eines (teilverbundenen) Druck-Schreibens einer normierten Verbundschrift gegenüber als deutlich, wenn auch nicht eindeutig überlegen.« […]" (Fettmarkierung d. d. Autor)
(http://www.gew-bw.de/aktuelles/detailseite/neuigkeiten/wie-kinder-gut-lesbar-und-fluessig-schreiben-lernen//Stand: 08.10.2015)
Eigentlich mögen
zumindest sie, Bartnitzky und Brinkmann, es nicht so sehr, wenn
Brügelmann von der 'Grundschrift' als einer 'teilverbundenen Schrift'
spricht. Mit abenteuerlichen
Erklärungen versuchen sie, diesen Terminus von der 'teilverbundenen Schrift' neu zu
interpretieren:
Bartnitzky:
"Auf
dem Weg zur
individuellen Handschrift ist dies aber ein Umweg, weil Handschriften
geübter Schreiber nie alle Buchstaben in grafischer Spur sichtbar
miteinander verbinden. In der Regel wird auch bei einer verbundenen
Schrift nach drei Buchstaben abgesetzt. Es gibt dann Luftsprünge im
Wort. Die Verbindung zwischen den Buchstaben wird dabei nicht
unterbrochen, die Spur erfolgt nur in der Luft und ist nicht als
grafische Spur auf dem Papier
sichtbar."
(http://www.grundschulverband.de/fileadmin/aktuell/Grundschrift/GSa110_Mai10_Grundschrift_S3-12.pdf/
Stand: 04.09.2015)
In den handschriftlich geschriebenen
Texten geübter erwachsener Schreiber finden das aber regelmäßig
offenbar nur Brinkmann und Bartnitzky so heraus. Wie viele Male ein Schreiber
beim Schreiben
absetzt, hängt nicht nur von dem erlernten tatsächlich verbundenen
Schrifttyp ab, sondern auch davon, ob er durch einen soliden Unterricht
in
das Erlernen dieser Schrift eingeführt wurde, ob es in der zu
erlernenden Schrift über einen längeren Zeitraum hinreichende
Übungsmöglichkeiten gab. Die 'Grundschrift' als Variante des
Druck-Schreibens
ist allerdings so angelegt, dass bei Kindern auch nach zahlreichen
Versuchen einer
Weiterentwicklung zur verbundenen Schrift die Zahl der Schreibstopps - schriftbedingt - sehr hoch bleiben muss.
Diese Bruchstellen im Wort, die
Bartnitzky als "
bei einer verbundenen
Schrift nach drei Buchstaben abgesetzt" bezeichnet, sind hinsichtlich der von Kindern
selbstbestimmt
weiter entwickelten Grundschrift in Wirklichkeit nichts
anderes als Schreibstopps,
die den Schreibfluss hemmen und für die anzustrebende Bildung von Bewegungsspuren im motorischen
Cortex schädlich sind. (Dazu
unten mehr!)
Damit zwischen den Schreibstopps keine sichtbaren Leerstellen
entstehen,
versuchen Schreiber oft dennoch noch durch irgendwie geformte
Striche/Linien
Anschluss an den zuvor geschriebenen Buchstaben herzustellen: Bei dieser
selbstbestimmt fortentwickelten 'teilverbundenen Grundschrift'
gelingt das allerdings meistens nur
irgendwie oder gar nicht. (Siehe Tafel 33!)
Brinkmann:
"Hier
ist zu diskutieren, was die Verbundenheit ausmacht: Die Bewegung der
Hand oder die Spur auf dem Papier? In den Handschriften von
Erwachsenen finden wir in der Regel auf dem Papier zwei bis drei
verbundene Buchstaben und dann kleine Leerstellen, bevor die in der
Luft weiterhin verbundene Bewegung wieder auf dem Papier sichtbar
wird (vgl. Mahrhofer-Bernt in Grundschule aktuell, Heft 110, S. 27).
Zwingt man die Spur auf das Papier, führt dies zu Verkrampfungen der
Hand, Erhöhung des Schreibdrucks und Verlangsamung der Bewegung.
Diese Befunde sprechen dafür, den Begriff »verbunden« auf die
Bewegung zu beziehen und nicht auf deren sichtbare
Spur."
(http://www.grundschulverband.de/fileadmin/bilder/projekte/Grundschrift/Lehrplaene_und_die_Einfuehrung_der_Grundschrift.pdf)
Nicht viel Neues zu den "Luftsprüngen" gibt
es also bei Brinkmann. Immerhin räumt sie ein, was nach dem 'Absetzen'
geschieht: "kleine Leerstellen, bevor die in der
Luft weiterhin verbundene Bewegung wieder auf dem Papier sichtbar
wird." Was sie nicht sagen möchte: Nach jedem Absetzen folgt ein neues
'Ansetzen'. Sie spricht
jedoch davon, was
passiert, wenn es diese Schreibstopps
nach jeweils zwei oder drei geschriebenen Buchstaben nicht gibt: Es kommt zu "Verkrampfungen der
Hand" und zur "Erhöhung des Schreibdrucks". Schriften wie die Schulausgangsschrift
oder die
Lateinische Ausgangsschrift, die tatsächlich "mit Schwung" geschrieben
werden können, lösen jedoch solche Überforderungssymptome
kaum aus. In Zeiten,
da die
Lateinische Ausgangsschrift noch mit einem Griffel auf der Schiefertafel geschrieben
wurde oder
Kinder sie mit Federhalter oder Füllhalter schrieben, war die "Erhöhung des Schreibdrucks"
nur vereinzelt ein Problem: Die unmittelbaren Folgen wären gewesen,
dass der Griffel zerbrach oder die Feder sich spreizte, schließlich
sich verbog und unbrauchbar wurde.
Brinkmann: "zwei bis drei
verbundene Buchstaben und dann kleine Leerstellen"
Vorzeigebeispiel des Grundschulverbands:
So hat
Lotte die 'Grundschrift' zu ihrer 'verbundenen' Handschrift
fortentwickelt
Tafel 35
(in: Kleeblatt-Heft 4
: Grundschrift: Das rote Heft
zum Lernen und Üben/
zu beziehen über den Grundschulverband/Stand: 15.12.2015)
Bildmitte: So
hat
der Computer die 'Grundschrift' zu einer 'verbundenen' Schrift
fortentwickelt
Tafel 36
Vergleicht man Lottes handgeschriebenen Brief (rechts) mit der Computer-Version in der Mitte, wird
deutlich, dass Lotte mit
ihrer
Hand genau das getan hat, was der Computer mit Hilfe von Word
auch geleistet
hat: Sie hat ihr gesamtes Schreiben - mit
zwei Ausnahmen bei viele und
gefallen (l/ll) sowie bei auch
und Gehege
(h) -
nach dem sog. modularen
Prinzip organisiert. In Lottes Brief ergeben sich die Wörter aus den einzelnen
Buchstaben als Modulen, die, ausgehend von
der Grundschrift, unverbunden näher aneinander gerückt wurden. Lottes
handgeschriebene Schrift (rechts) mit nur wenigen tatsächlichen
Verbindungen
zwischen den Buchstaben ist nicht wirklich eine verbundene Schrift -
wie die computergeschriebene in der Mitte der Tafel
selbstverstädlich auch keine solche ist. Lotte hat offenbar auch nicht einmal
gelernt, größere
Einheiten wie Silben
und Morpheme fließend und verbunden zu schreiben. Brügelmann et al. mögen in Lottes Brief eine Fortentwicklung
zur 'persönlichen verbundenen Handschrift' erkennen wollen: Das, was
Lottes Schrift zur 'persönlichen Handschrift' macht, sind jedoch das
uneinheitlich wirkende Schriftbild und die Unbeständigkeit in der
Formung der einzelnen hintereinander gereihten Buchstaben.
In der Werbung
für das vom Grundschulverband angebotene
Kleeblatt-Heft 4 heißt es beim
Grundschulverband: "Zum Schreiben wurde dazu die
Grundschrift entwickelt: eine Schrift für die Schreibhand der
Kinder, der Druckschrift abgeguckt. Aus dieser Grundschrift
entwickeln die Kinder ihre eigene persönliche Handschrift. Eine
Hilfe dazu sind die Kleeblatt-Hefte. Sie unterstützen diese
Entwicklungen."
Bartnitzky: "In der Regel wird auch bei einer
verbundenen Schrift nach drei
Buchstaben abgesetzt." 'Absetzen' heißt,
den Schreibfluss durch einen Schreibstopp zu
unterbrechen. Lotte (Tafel
33) hat versucht,
ihre
'Grundschrift' zur 'verbundenen' Schreibschrift fortzuentwickeln.
Zum tatsächlichen verbundenen
'Schreiben mit Schwung' reichten ihre Bemühungen jedoch nicht.
Ergebnisse/Beispiele:
Liebe > 3 Mal abgesetzt, nach L, nach ie, nach b
Oma > 2 Mal abgesetzt,
nach O,
nach m
Grüße > 4 Mal abgesetzt, nach G, nach r, nach ü,
nach ß
besonders > 8 Mal abgesetzt, nach b, nach e, nach s, nach o, nach n, nach d, nach e, nach r
Bartnitzky sollte sich die im Jahre 1776 verfasste 'declaration of
independence' von Thomas Jefferson - handgeschrieben
in verbundener Schrift - (Tafel 28)
ansehen und darin nach 'Luftsprüngen' und Schreibstopps suchen:
Selbst in dem längsten darin vorkommenden Wort mit 15 Buchstaben
"representatives" wird er weder das eine noch das andere finden, trotz
eiliger Schrift kein "Luftsprung", kein "Stopp". An dieser
Stelle sei auch noch einmal an Brügelmanns
Behauptung erinnert: "Wie in den Ländern, die
gar keine
Schreibschrift kennen, z. B. den USA."
Hier kann nicht einmal ein Bruchteil der
in
englischer und französischer Sprache verfassten wissenschaftlichen
Arbeiten und Statements von Wissenschaftlern, die für den Einsatz von
verbundenen Schriften von Anfang an plädieren, erwähnt werden. Das
heben allerdings alle Fachwissenschaftler besonders eindrücklich
hervor: Eine
verbundene Schrift muss den Kindern
von
Lehrerinnen und
Lehrern mit systematischer Instruktion und
kleinschrittig beigebracht werden.
Der Sprachwissenschaftler
und Sprachdidaktiker Jakob
Ossner kritisierte 2006, dass schon die Vereinfachte Ausgangsschrift
(VA) keineswegs eine verbundene Schrift war, sondern dem modularen
Prinzip folgte: eine Aneinanderreihung von Buchstaben ohne wirkliche
Verbindung. Ossner: "Grundlegend für die VA ist das sog. modulare Prinzip,
wonach sich ein Wort aus den einzelnen Buchstaben als Modulen ergibt.
Wenn man die einzelnen Buchstaben von S
c h u l e
zusammenzieht, ergibt sich von selbst Schule.
[...] Damit stellt Grünewald eine Druckschrift nach; vernachlässigt
wird dabei der Witz einer verbundenen Schrift, nämlich die Verbindung."
(Jakob Ossner:
Sprachdidaktik Deutsch. Paderborn 2006) Die
Buchstaben der VA waren wohlkalkuliert so gestaltetet, dass sie - im
Gegensatz zur Lateinischen Ausgangsschrift – sich nun in
Maschinenschrift aneinander reihen ließen. Mit Kindeswohl und
Kindesorientierung hatte das nichts
zu tun! Die Entwicklung der VA kam zuvorderst
merkantilen Interessen nach. Ossners Vorwurf damals auch: "Hinzu
kommt, dass
Schülerinnen bei
Beginn mit einer Druckschrift eine verbundene Schrift frühestens im
zweiten Schulhalbjahr erlernen. In dieser Phase sollen sie aber nicht
mehr buchstabierend schreiben und bereits größere Einheiten erfassen
können.
Das bedeutet, dass eine auf einem modularen Buchstabenprinzip
aufbauende verbundene Schrift keinen Fortschritt mehr bringen kann." (ebd.) Dieser
Einwand ist mit Einführung der Grundschrift und der Idee, dass Kinder
sich daraus selber ihre persönliche Handschrift entwickeln sollen,
wiederum hochaktuell. Nachdem die Kinder die "handgeschriebene
Druckschrift" erlernt haben, wird in der zweiten Klasse
etwas von ihnen erwartet, was kaum zu bewältigen
ist. Das heißt, wenn Lehrerinnen/Lehrer sowohl den Ideen
Brügelmanns/Brinkmanns folgten als auch den Vorgaben aus
der wissenschaftlich
orientierten Didaktik
entsprächen, sollen
die Kinder in Klasse 2 Folgendes leisten können:
Das sehen
Brügelmann und Brinkmann vor: Aus
der Druckschrift heraus,
der 'Grundschrift' also, sollen die Kinder selbstreguliert
ihre eigene Handschrift entwickeln. Ihnen ist auferlegt, aus den einzelnen
Modulen der Grundschrift heraus experimentierend
ökonomisch gestaltete
Schreibbewegungen zu finden, um sie, die Buchstaben also, zur
Konstruktion lesbarer
Wörter miteinander zu verbinden, wobei sie zusätzlich darauf achten
sollen, dass die Resultate auch ästhetischen Ansprüchen
genügen. .
Das sieht dagegen die wissenschaftlich orientierte Didaktik vor: Die Kinder sollen in Klasse 2 nicht mehr darauf trainiert werden, buchstabierend zu schreiben, d. h. Modul auf Modul aneinanderzureihen, sondern bereits lernen, größere Einheiten (Silben, Morpheme) erfassen und in einem Zug schreiben zu können. Ziele sind ein motorischer Schreibautomatismus und das Schreiben in der verbundenen Schrift, die schneller ist als die Druckschrift.
Verantwortungsvolle
Pädagogen sehen in diesen sich widersprechenden Anforderungen eine völlige
Überforderung bzw. eine nicht lösbare Aufgabe, zumal die Kinder bis
zum Ende der
zweiten Klasse vor
eine Fülle komplexer Herausforderungen gestellt sind,
die
grundlegende Bedeutung für das Erlernen einer sicheren Rechtschreibung haben. Sogar
die in
Deutschland erhältliche einschlägige Literatur hebt wiederholt
eindrücklich hervor, dass verbundene Schreibschriften erfolgreich nur
mit der personalen Nähe von Lehrerinnen/Lehrern eingeführt werden
können. Das liegt im Wesentlichen daran, dass es sich hierbei um einen
hochgradig komplexen Vorgang handelt - mit einer Vielfalt an
bedenkenswerten Aspekten: Nur wer die erforderlichen Kenntnisse
aufweist, darf einen
entsprechenden Unterricht
erteilen. Dass die von Kindern weiter entwickelte 'Grundschrift'
keineswegs eine verbundene Schrift werden muss, sondern weiterhin dem
modularen
Aufbauprinzip folgt, zeigt sich in Tafel
33: in der als verbunden geltenden Schreibschrift mit
vielmaligen
Schreibstopps/vielmaligem Absetzen. Anstatt eine
verbundene Schrift zu entwickeln, hat Lotte
aus der unverbundenen Grundschrift eine weitere unverbundene Schrift mit zahlreichen Abbrüchen
abgeleitet. Mit dieser Schrift können,
wie mit Nachdruck von der
wissenschaftlich orientierten Didaktik
vorgesehen, allerdings keine solch größeren sprachlichen Einheiten enstehen, die
nach reichlichem Üben als Silben und/oder Morpheme im motorischen
Cortex als 'erlernte Bewegungen' abgespeichert werden. Erst sie führen zu einem motorischen Schreibautomatismus
- und nach vielem Üben auch zu einer schnelleren Schrift. Als
eine wichtige und nicht zu unterschätzende Teilkompetenz der
Rechtschreibkompetenz insgesamt gilt: Wörter/Wortteile orthographisch
korrekt schreiben zu können, ohne lange über die korrekte Schreibung
nachdenken zu müssen. Das Festhalten an dieser neuen Grundschrift bringt
folglich zwangsläufig viele Kinder um die Chance, diese Lernspur auf
dem Weg zu einer gefestigten Rechtschreibkompetenz
nutzen zu können. Dass die Zeit des selbstregulierten
Experimentierens,
ökonomisch gestaltete
Schreibbewegungen zu entwickeln, die zu einer verbundenen
und auch ästhetischen
Ansprüchen genügenden Schreibschrift führen sollen, nun ausgerechnet
mit
einer Periode zusammenfällt,
in der die Kinder vor
eine Fülle komplexer Herausforderungen gestellt
sind, die grundlegende Bedeutung für das Erlernen
einer sicheren Rechtschreibung haben, ist unglaublich. In seinem Elternratgeber warnt Prof.
Schulte-Körne, Direktor
der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie,
Psychotherapie und Psychosomatik der Ludwig-Maximilians-Universität
München: "Wenn Ihr Kind in
der Mitte bis zum Ende des zweiten Schuljahrs Lese- und
Rechtschreibschwierigkeiten hat, bleiben diese Probleme häufig bis zum
Ende der Schulzeit bestehen." (Prof. Dr. Gert Schulte-Körne:
Elternratgeber Legasthenie. München 2004)
X.
Why cursive
writing in remedial work is
important
Warum eine verbundene Schreibschrift für die Förderarbeit so
wichtig
ist
(http://cdn.intechopen.com/pdfs/35808/InTech-The_contribution_of_handwriting_and_spelling_remediation_to_overcoming_dyslexia.pdf)
Die englische Professorin Diane Montgomery von der
Middlesex University in London kommt in Ihrer Untersuchung (veröffentlicht im Jahre 2012)
'The
Contribution of Handwriting and Spelling Remediation to Overcoming
Dyslexia' (Die Mitwirkung von Handschrift und Rechtschreibförderunterricht
bei der Überwindung der Dyslexie [Legasthenie/Lese-Rechtschreibstörung]) zu dem Ergebnis,
dass eine verbundene Handschrift bei der Überwindung von
Rechtschreibschwächen/Legasthenie eine entscheidende Rolle spielt.
Auf Seite 128 ihrer Studie heißt es in der
Überschrift:
"7.4.2 Why CPS and cursive writing are
BOTH needed"
Sie erklärt, dass bei schwachen
Rechtschreibern/Legasthenikern unkorrekte Schreibweisen bereits an zwei
Stellen abgespeichert sind:
a.
In the motor
control
cortex for learned movements (Kimura cited in Springer et al 2003 pp
304-5)/
im motorischen
Cortex, in dem erlernte Bewegungen* abgespeichert sind (Kimura cited in Springer et al 2003 pp
304-5)
b.
In the word memory store or orthographic lexicon (Barry,
1994)/
im orthographischen Lexikon (Barry,
1994)
*Ein
motorisches Programm ist ein zentralnerval gespeichertes Engramm
(Erinnerungsbild), das der Innervation von Muskeln und Muskelgruppen
dient und die Bewegung ohne periphere Rückinformation steuern kann.
(Dr. Peter Wastl:
http://user.phil-fak.uni-duesseldorf.de/~wastl/Wastl/Training/BL2-Bewegungssteuerung.PDF/Stand:
01.12.2015)
Falschschreibungen sind demzufolge an zwei Orten abgespeichert.
In ihrer Arbeit führt Montgomery
plausibel vor, wie dann zu verfahren ist, dass
nämlich die Einträge mit den falschen Bewegungsspuren korrigiert werden müssen. Das ist mit Hilfe bestimmter Programme jedoch nur dann - wie sie nachweist - aussichtsreich, wenn die Kinder eine verbundene Schreibschrift schreiben. Von Bedeutung sind neben den hier gemeinten schreibmotorischen auch weitere die Multisensorik betreffende Programme/Strategien wie akustische, artikulatorische und optische.
die falschen Einträge im orthographischen Lexikon getilgt werden müssen. Dazu dient ein 12-Punkte-Programm, das sie "Cognitive Process Strategies for Spelling" nennt. (Siehe Quelle!)
(http://cdn.intechopen.com/pdfs/35808/InTech-The_contribution_of_handwriting_and_spelling_remediation_to_overcoming_dyslexia.pdf/Stand
16.10.2015)
Diese Studie berichtet ausführlich über die Ergebnisse aus
Fördermaßnahmen in Problemfällen, aus Interviews, aus
Beobachtungen sowie aus der Analyse der Vorgeschichten/-erkrankungen
von mehr als 1000 Legasthenikern und solchen Schülern, die noch nicht
auf Leistungsschwächen untersucht worden waren. Ihre Fähigkeiten wurden
mit einer ähnlich
großen Kontrollgruppe von anderen Schülern verglichen.
Die Fallberichte von mehr als 1000 Legasthenikern/Kindern mit
Lese-/Rechtschreibschwächen wurden aufgezeichnet und analysiert. Dabei
kam Montgomery auch zu dem Ergebnis, dass es zwischen einer schlechten
Handschrift
und einer schwachen Rechtschreibung tatsächlich Zusammenhänge
gibt. Hier einige der wichtigsten grundsätzlichen Befunde (ebd.):
"Developmental
dysorthographia - these had a severe difficulty in learning
to spell in the absence of a
similar difficulty with reading. Some of the pupils had learned
to read, self-taught at an early age or had an
earlier reading
difficulty that had cleared up. In these latter
cases the residual
signs were slow reading and difficulties in skimming and scanning
text. All had poor writing and compositional skills. Very few had
been referred for remedial help in school."/
"Entwicklungsbedingte
Rechtschreibschwäche - diese Schülerinnen/Schüler hatten große
Probleme mit dem Erlernen der Rechtschreibung, jedoch keine Probleme
mit
dem Lesen. Einige
dieser Schülerinnen/Schüler hatten sich schon in frühem Alter das Lesen
selber beigebracht, andere hatten zu einem früheren Zeitpunkt Probleme
mit dem Lesen, die aber beseitigt werden konnten. In den letztgenannten
Fällen waren die
Anzeichen dafür
langsames Lesen und Schwierigkeiten beim Überfliegen eines Textes, um
dabei an präzise Informationen zu kommen und sich einen Überblick über
die wichtigsten Informationen zu verschaffen. Sie
alle hatten eine schlechte Handschrift
und verfügten über nur schwache Fähigkeiten beim Schreiben von
Aufsätzen. Nur sehr wenige Kinder waren in den Förderunterricht
überwiesen worden."
"Developmental
dysgraphia– 30% of the sample had difficulties in the area
of handwriting as a result
of a motor coordination problem in the fine skills of
penmanship. This was often in the absence of reading difficulties
but appeared to have caused problems in spelling development
through lack of writing practice."/
"Entwicklungsbedingte
Schreibstörung - 30% der Stichprobe hatte im Bereich der Handschrift Schwierigkeiten,
die auf Probleme der motorischen Koordination hinweisen, wenn - wie
beim Schönschreiben - besonderes Geschick für präzises Arbeiten
erforderlich ist. Diese Schwäche war nicht durchweg von
Leseproblemen begleitet, legte aber die Annahme nahe, dass sie infolge
mangelnder Schreibpraxis Probleme bei der Rechtschreibentwicklung
verursachte."
"Developmental
Coordination Difficulties (DCD - dyspraxia) – these had
a difficulty with motor skills, even after a reasonable period of
skill acquisition. Those with gross motor difficulties usually
also had fine motor coordination difficulties especially
with handwriting and problems with spelling."/
"Entwicklungsbedingte (lebenslange)
Koordinations- und Entwicklungsstörung - diese
Schülerinnen/Schüler hatten Schwierigkeiten im
Bereich der motorischen Fähigkeiten, sogar noch nach einem vertretbaren
Zeitraum, in dem diese Fähigkeiten zu erwerben waren. Jene
Schülerinnen/Schüler mit erheblichen
Schwierigkeiten hatten gewöhnlich auch Probleme im Bereich
der feinmotorischen Fähigkeiten, besonders
beim Schreiben mit der Hand,
darüber hinaus hatten sie Probleme mit der Rechtschreibung."
"Developmental
dyscalculia – in some cases there was a recorded difficulty
in acquiring arithmetic skills and concepts especially in reciting
tables and mental arithmetic (Miles, 1993). Many of these
difficulties could be accounted for by the difficulties in
reading and writing and with
the dyslexic problems in establishing
verbal codes (Montgomery 2011c)."/
"Entwicklungsbedingte
Rechenschwäche - in einigen Fällen gab es eine (dokumentierte)
Schwierigkeit beim Erwerb arithmetischer Fähigkeiten und Begriffe,
besonders beim Aufsagen auswendig
gelernter Konstrukte mit Zahlen sowie beim Kopfrechnen. Viele dieser
Probleme konnten mit den Schwierigkeiten erklärt werden,
die sich beim Lesen und Schreiben ergaben und
mit den aus einer
Legasthenie resultierenden Problemen zu tun
hatten, wenn
sprachliche Zeichenfolgen aufgebaut werden sollten (Montgomery 2011c)".
"Comorbidity –
Dyslexia was often found associated with other
specific learning difficulties such as Attention Deficit
Hyperactivity Disorder (ADHD) Asperger Syndrome and dyspraxia
(Kutscher 2005). Research by Montgomery, (2000); and Silverman,
(2004) showed that handwriting
difficulty is an underlying problem in underachievement and
can be overlooked. It is comorbid in dyslexia (30-63% Kaplan 2000;
Montgomery 2007), ADHD (50% Kaplan, 2000) and Asperger Syndrome
(90% Henderson and Green, 2001)."/
"Begleiterkrankungen
- Lese-Rechtschreibstörung/Legasthenie
wurden oft in Verbindung mit anderen spezifischen
Lernschwierigkeiten gefunden, z. B. mit ADHD, dem Asperger Syndrom und
Dyspraxie.
Studien von Montgomery (2000)
und Silverman (2004) zeigten, dass die Schwierigkeit
beim Schreiben mit der Hand bei einem Leistungsrückstand
ein
tiefer liegendes Problem ist,
das allerdings leicht übersehen werden kann: Dieses Handikap ist eine
Begleiterscheinung von Lese-Rechtschreibstörung/Legasthenie (30-63%
Kaplan, 2000;
Montgomery, 2007), ADHS (50% Kaplan, 2000) und Asperger Syndrom
(90% Henderson und Green, 2001)."
"Experiments
in teaching cursive from the outset again have taken place in a number
of LEAs* and have proved highly successful in achieving writing targets
earlier and for a larger number of children (Low, 1990; Morse, 1991).
It is also found to be equally readable. (Montgomery, 2003)."/
*LEAs (Local education authorities) heißen in
England und Wales die Gremien, die innerhalb ihres
Zuständigkeisbereiches für Schule und Unterricht zuständig sind.
"Untersuchungen zum
Unterricht mit einer verbundenen Schreibschrift, wenn diese von
Schulbeginn an gelehrt wurde, fanden in zahlreichen
Schulbezirken in England und Wales
statt. Sie haben gezeigt, dass auf
diesem Weg die Zielvorgaben des
Schreibunterrichts - mit höchstem Erfolg - nicht nur früher, sondern auch
für eine größere Anzahl von Kindern erreicht werden konnten (Low,
1990; Morse, 1991). Herausgefunden wurde
auch, dass diese Schriften gleichermaßen gut lesbar waren.(Montgomery,
2003)"
An dieser Stelle sei noch einmal auf die Studie von Geoge H. Early verwiesen: "The research of Early
(1976) advocated
the exclusive use of cursive
from the beginning. This was because it was found that the major
advantage of cursive lay in the fact that each word or syllable
consists of one continuous line where all the elements flow together.
This means that the child experiences more readily the total form or
shape of a given word as he or she monitors the kinaesthetic feedback
from the writing movements. Handwriting therefore supports spelling and
this contributes to literacy development."/
"In seiner Studie von
1976 plädierte Early für den alleinigen Einsatz der verbundenen
Schreibschrift von Schulbeginn an. Grund dafür war, dass man
herausgefunden hatte, dass der größte Vorteil verbundener
Schreibschriften in der Tatsache liegt, dass jedes Wort, jede Silbe aus
einer 'Schnur' besteht, an der entlang
alle Elemente zusammenfließen. Das bedeutet, dass das Kind
leichter die gesamte Form bzw. die Gestalt eines vorgegebenen Wortes
erfährt, weil er oder sie das kinästhetische Feedback aus
den Schreibbewegungen mitverfolgt. Mit der Hand zu schreiben
unterstützt deshalb die Rechtschreibung, und das wiederum unterstützt
die Leseentwicklung."
Die Forschungsarbeiten der englischen
Professorin Diane Montgomery von der
Middlesex University in London mögen in Großbritannien mit zu der jetzigen Praxis
beigetragen haben, dass sich
erfolgversprechender Förderunterricht zur Behebung von
Lese-Rechtschreibschwächen/ Legasthenie inzwischen in
entscheidendem Ausmaß auf die Praxis einer verbundenen Schreibschrift
stützt - wie Montgomery sie in ihrer Studie darstellt. Ihr Fazit:
"Typical of all successful remedial programmes is the focus on spelling as well as reading reinforced by writing especially in cursive." - "Typisch für alle erfolgreichen Förderprogramme ist, dass man die Rechtschreibung wie auch das Lesen fokussiert und sich dabei auf das Schreiben - vor allem auf die verbundene Schreibschrift - stützt." (ebd.)
Es war bereits oben die Rede von
sogenannten motorischen Programmen, den zentralnerval gespeicherten
Engrammen
(Erinnerungsbilder), die der Innervation von Muskeln und Muskelgruppen
dienen und die Bewegungen ohne periphere Rückinformationen steuern
können. Der bereits oben mehrfach erwähnte Kognitionswissenschaftler Prof. Stanislas
Dehaene berichtet in seinem Buch "Lesen" (München
2010) von einem im ausgehenden 19. Jahrhundert nach Schlaganfall erkrankten Patienten, der an
einer bestimmten Form von Alexie litt:
Wortblindheit. Der besagte Patient, ehemaliger Kaufmann mit stattlicher
Rente, kultivierter Musikliebhaber, der zwar alle Gegenstände, die
er
sah, ohne Schwierigkeiten benennen konnte, jedoch dann versagte, wenn er
Buchstaben oder Wörter lesen sollte. Auch die ihm vertraute
Tageszeitung "Le Matin" konnte er nicht mehr lesen; dass es "Le Matin" war, erkannte er nur noch an ihrem Logo. Sein
damaliger Arzt
Joseph-Jules Déjerine
protokollierte seinerzeit:
"Spontan
schreibt der
Kranke ebenso gut, wie er spricht. Ein Vergleich zahlreicher
Schriftbeispiele, die ich ihn nachschreiben lasse, zeigt keinen Irrtum,
keinen Rechtschreibfehler, keine verstellten Buchstaben [...] Auch das
Schreiben nach Diktat verläuft problemlos und flüssig, doch was der
Kranke gerade geschrieben hat, kann er in keinem Fall lesen [...].
"Unterbricht man ihn mitten im Satz, den er gerade nach Diktat
schreibt, kommt er durcheinander und weiß nicht mehr, wo er seine
Buchstaben anfügen soll. [...] Der Anblick dessen, was er schreibt,
bietet ihm alles andere als eine Orientierung, sondern scheint ihn eher
zu verwirren - so sehr, dass er es vorzieht, mit geschlossenen Augen zu
schreiben." (
Joseph-Jules Déjerine in: Stanislas
Dehaene: Lesen. München
2010)
Nicht einmal ihm genannte Einzelbuchstaben aufzuschreiben
war der Patient
imstande. Es gelang ihm zwar, mit Gesten deren Formen nachzuzeichnen,
zu Papier bringen konnte er sie jedoch nur, und das mit großer
Exaktheit, wenn er sie in der Art einer Zeichnung abzeichnete. Déhaene:
"Interessanterweise konnte der Patient weiterhin lesen, wenn
man ihm gestattete, die Konturen mit der Hand nachzuzeichnen." (ebd.)
Déhaene betrachtet das als einen Hinweis auf die Ebene, auf der die
Lesefähigkeit angesiedelt ist. Er sieht das aber auch als Beweis dafür,
dass bei Störung der Lesefähigkeit die "motorische Erinnerung" nicht
gleichzeitig auch
gestört sein muss, sondern weiterhin fehlerfrei funktioniert. Dieses Beispiel aus
Frankreich, wo seit jeher eine verbundene
Schreibschrift gelehrt und gelernt wird, zeigt, welche Bedeutung
offenbar die
von Déhaene so benannte "motorische Erinnerung"
für die Schreibfähigkeit hat.
Einer der weltweit bekanntesten Neuropsychologen, Alexander
Romanowitsch Lurija (gest. 1977) berichtete von einem Patienten, bei
dem gravierende Störungen bezüglich des phonematischen Hörens -
hervorgerufen durch eine Verletzung des
linken Temporallappens - zu einem Verlust der Schreibfähigkeit geführt
hatten: Der motorische
Schreibautomatismus ging jedoch nicht
verloren. Lurija: "Eine auffällige
Ausnahme bildet das Schreiben geläufiger Wörter (z. B. auch der
Unterschrift), die keine Analyse des akustischen Inhalts
erfordern und zu festen motorischen Stereotypen geworden sind." (Alexander
Romanowitsch Lurija: Das Gehirn in Aktion - Einführung in die
Neuropsychologie. Moskau 1973/Hamburg 1995)
Wenn Lurija vom 'Schreiben' spricht, ist übrigens immer das Schreiben
mit der verbundenen Schreibschrift gemeint. Das war so, seit es in
Russland Schulen gibt, das wird wohl auch so bleiben: Die Russen sind
traditionsbewusst, heute wohl mehr denn je, sie
lieben ihre Kultur, so auch ihre Sprache und ihre Schrift, und sie
leisten sich auch in
der Zeit nach der
Sowjetunion, die in schulischer Hinsicht geprägt ist von zahlreichen
schulischen/pädagogischen Reformen, keine
abenteuerlichen Ausritte in mit merkantilem Sinn aufbereitete
pädagogische Scheinwelten. Fragt man bei der russischen Botschaft an,
heißt es: "Russische
Grundschüler lernen gleich in Schreibschrift zu schreiben, was zur
Folge hat, dass kein Russe die Druckschrift zum Schreiben
benutzt." Dass das so bleibt, ist nicht zuletzt auf Lurijas
Forschungergebnisse zurückzuführen.
The standard modern Russian Cyrillic
cursive alphabet with uppercase and lowercase letters, used in school
education
Tafel
37
Die hier
aufgezeigten Krankheitsbilder gewinnen an Bedeutung, wenn wir
verstehen, dass die "motorische Erinnerung" eine feste
Größe für die Entwicklung zur voll ausgebildeten Schreibfähigkeit ist.
Lurija:
„Das Schreiben beispielsweise hängt
anfänglich vom Einprägen der graphischen Gestalt eines jeden
Buchstaben ab. Der Schreibvorgang erfolgt aufgrund einer Kette
einzelner motorischer Impulse, von denen jeder für die
Verwirklichung nur eines Elementes des graphischen Aufbaus von
Buchstaben zuständig ist. Mit fortschreitender Übung verändert
sich der Vorgang von Grund auf: Das Schreiben wird wie eine
einheitliche Bewegungsmelodie ausgeführt, so daß das Behalten der
sichtbaren Form eines jeden Buchstaben oder einzelner motorischer
Impulse für die Strichführung nicht mehr nötig ist. Die Situation
wiederholt sich, wenn das Schreiben eines automatisierten Schriftzugs
(z. B. einer Unterschrift) nicht mehr von der Analyse der akustischen
Wortverbindung oder visuellen Form einzelner Buchstaben abhängig
ist. Der Schriftzug wird dann als eine in sich geschlossene
kinetische Melodie verwirklicht.“ (ebd.)
Später ergänzte Lurija seine
Beobachtungen und betonte noch einmal den Stellenwert der Übung:
"Je
mehr sich dann der
Prozess des Schreibens automatisiert, desto größer wird der
Umfang der motorischen 'Einheiten', ....."
Es ist angebracht,
hier noch einmal an das Unterrichtskonzept des oben bereits zitierten
Professors Eichler zu erinnern:
"Ein
wenig im Abseits der üblichen Blicke auf das Lerngeschehen befindet
sich die vierte Lernspur: Die
Einübung
fester Engramme als Schreibbewegungsmuster in die schreibende Hand.
Dies geht natürlich nur mit einer
motorisch orientierten,
also verbundenen
Schrift, in
der ganze Wörter oder
Wortteile ohne Absetzen in einem Zug geschrieben
werden. [.....] Diese Engramme kann man mit
geschlossenen Augen, also auch ohne visuelle Kontrolle,
niederschreiben. Kinder, die eine verbundene Schrift
lernen, schreiben kleine Wörter
und Wortteile wie der, ein,
aber auch -heit,
-keit erstaunlich schnell und ohne nachzudenken
richtig, obwohl diese Wörter
Rechtschreibschwierigkeiten beinhalten, die eigentlich noch nicht
gemeistert werden, vgl. Walt,
Aazt, rain usw.
Mir
geht es bei der Schaffung vielfältiger
Schreibanlässe aber vor allem darum, möglichst
viele Engramme
durch wiederholtes Schreiben in die Hand einzuprägen. Und
dafür ist fast jedes Mittel recht, z.B. auch kleine
Texte mehrmals umschreiben, mehrere Korrekturgänge mit Stilvarianten
und Schreibungen
probieren und identifizieren (s.o.) sowie ein abschließendes
„Schönabschreiben“ für ein
gemeinsames Buch und, und… Wichtig
ist, dass Wörter
jeweils mehrfach* geschrieben werden, so dass sie sich ganz oder
zumindest als Wortteile einprägen und zugleich der Kontrolle
durch das visuographische Lexikon unterzogen werden." (Hervorhebungen
d. d. Autor)
(Eichler contra
Brügelmann/https://dl.dropboxusercontent.com/u/21116330/eichler.13.sea_rsu.eigenes_konzept.130911.korr.pdf/Stand
01.11.2013)
Treffender hätte es allerdings in der Beschreibung Eichlers anstatt *(s. o. letzter Satz!) "mehrfach" 'vielmalig'
heißen müssen. Ansonsten beschreibt Eichler zutreffend, welche Rolle
verbundene Handschriften auf dem Weg in die korrekte Rechtschreibung
übernehmen, auch, dass es nur so
auf dem von ihm beschriebenen Weg zu der
von Déhaene so benannten "motorischen Erinnerung"
kommen kann, die für die volle Entfaltung der
Schreibkompetenz ihre Bedeutung hat.
Wenn Eichler von "Wortteilen" spricht, etwa von "der", "ein", "-heit"
und "-keit", sind
Wortbausteine gemeint, die Morpheme. Auch
Silben sind
Wortteile, sie haben den Vorteil, dass sie sogar Kindern schon
intuitiv zugänglich sind, sie haben allerdings den Nachteil,
dass viele Male Silben, wenn sie nicht gerade mit Morphemen
identisch sind, keinerlei Bedeutung haben. Morpheme sind die
kleinsten bedeutungstragenden Elemente der Sprache, sie bilden in
formaler sowie in inhaltlicher Hinsicht eine Einheit. (Nach: Prof. Mark Galliker:
Sprachpsycholgie. Tübingen und Basel 2013)
Kin - der |
Kind-lein |
Beide Silben
für sich sind bedeutungslos. |
Jedes dieser
beidem Morpheme ist Bedeutungsträger |
Die deutsche Spache besteht aus
ca. 3000 Morphemen, mit
ihrer Hilfe lassen sich eine halbe Million Wörter konstruieren, mit den
1600 häufigsten Morphemen lassen sich mehr als
85%
jedes größeren Textes schreiben. Mit
dem Morphem "zieh" lassen sich z. B. 1000 Einzelwörter bilden. (ebd.)
Morphembasierte
Schreiblehrkonzepte sind seit Langem besonders
erfolgreich im
Einsatz bei Kindern mit Problemen hinsichtlich des
Schriftspracherwerbs. Rätselhaft
oder auch nicht: Es bleibt die Frage, weshalb sie so selten in
Grundschulen eine
entscheidendere Rolle spielen dürfen. Prof. Mark Galliker betont die
diesem Verfahren innewohnenden Chancen zu kreativem Umgang mit Sprache,
der sich mal eher formal oder mal eher inhaltlich gestalten lässt. (ebd.) Früchte tragen solche
morphembasierten Schreiblehrkonzepte allerdings erst dann und nur in
vollem
Umfang, wenn in verbundenen Schreibschriften
geschrieben wird, so wie es Eichler oben beschreibt.
Beispiel: Das Morphem 'fahr'
fahren, Fahrt, Fahrkarte Einfahrt, Fahrgeld, Fahrer,
Fahrrad, fährt, fahrlässig, Fahrlässigkeit, Fahrstuhl, Fähre, erfahren,
Fährte, Erfahrung,
Gefahr, gefährlich,
ausfahren, Fahrtenbuch,
Einzelfahrt, befahrbar,
... .
Das Morphem an seiner
Stelle farblich zu
markieren verstärkt den optischen Eindruck, die verbundene Schreibschrift führt nach
vielmaligem Üben mit System zur sicheren "motorischen Erinnerung",
schließlich auch zur Entlastung des vom
Regelwerk der Rechtschreibung geplagten Gedächtnisses. Kindern
fortlaufend zu erklären,
»'fahren' wird mit 'h' geschrieben« bringt nichts - wo 'sparen' und
'garen' doch ohne 'h'
geschrieben werden. Die Vorteile für die Rechtschreibung sind nicht zu
übersehen: Bei den morphem-
und silbenbasierten Schreiblehrkonzepten im Zusammenhang mit
verbundenen Schreibschriften ist
davon auszugehen, dass bei
hinreichender Übung Silben und Morpheme so fest eingeprägt sind, dass
es zu
der
von Déhaene so benannten "motorischen
Erinnerung"
kommt, die höchste Bedeutung für die volle
Entfaltung der
Schreibkompetenz hat. Heutzutage
ist es üblich, dass in der ersten Klasse der
Schreibunterricht mit einer unverbundenen bzw.
druckschriftaffinen handgeschriebenen
'Druckschrift' als Erstschrift beginnt. Besonders
dann, wenn die Kinder über das zentrale
Arbeitsmittel
'Anlauttabelle' selbstgesteuert durch die Aneinanderreihung von
druckschriftaffinen Einzelbuchstaben Wörter oder sogar Texte
zusammenbasteln sollen und so ganze
Wörter oder
Wortteile grundsätzlich nicht mehr ohne
mehrfaches Absetzen
und in
einem Zug
geschrieben
werden (können),
wird mit keinem Arbeitsschritt mehr auf eine Entwicklung der motorischen
Erinnerungsfähigkeit hingearbeitet: Hier geht es dann nicht mehr
um das
Einprägen
von ganzen Wörtern
oder
Wortteilen, sondern nur mehr um das Einprägen von
Einzelbuchstaben. Dies
ist eines von vielen Beispielen dafür, wie
in der sog. modernen Schule Schulanfänger von erwiesenermaßen
hochwirksamen und
erfolgversprechenden Unterrichtsinhalten und -verfahren ausgeschlossen
werden. Das heißt,
dass ihnen ohne
jegliche seriöse empirische Grundlage - durch offensichtliche
didaktische
Fehlentscheidungen - der Weg zu einer möglichen optimalen
Schreibentwicklung versperrt wird.
XI.
Wie lernen die
Kinder an Montessori-Schulen?
In Deutschland scheinen die Lehrerinnen/Lehrer an Montessori-Schulen
nicht mehr so viel von Maria Montessori zu halten. Zumindest wenn es um
die Lehre einer Ausgangsschrift geht, haben sie der kindgemäßen
Unterrichtsführung abgeschworen: Überproportional hoch ist in
Deutschland die Zahl derjenigen Montessori-Schulen,
die inzwischen die
'Grundschrift' unterrichten. Auch dort hat der Grundschulverband mit
seinen Werbekampagnen Erfolg gehabt. Die
ausländischen Montessori-Schulen erreichen die kruden Ideen der Befürworter
von Druckschrift und Grundschrift im Anfangsunterricht gottlob nicht.
In Frankreich lernen alle
Kinder als Ausgangsschrift die verbundene Schreibschrift. Daher stellt
dort auch niemand solche Fragen, in welcher Schrift denn nun in
Montessori-Schulen zu schreiben sei. Wo anderswo auch immer es Montessori-Schulen gibt, sie folgen im - Gegensatz zu
inzwischen vielen deutschen Montessori-Lehrerinnen/lehrern
- auch weiterhin den Grundsätzen Maria
Montessoris, z. B. in den USA und in Großbritannien:
USA:
Mit einer verbundenen Schreibschrift schreiben oder nicht
- über die Vorteile, in Montessori-Schulen die verbundene
Schreibschrift zu lehren -
Tafel 38
UK:
Eine verbundene Schreibschrift schreiben oder nicht?
- Sollte das überhaupt eine Frage sein? -
Tafel 39
XII.
"Finnland
ohne
Schreibschrift - Schreibst du noch,
oder tippst du schon?"
(http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/finnland-ohne-schreibschrift-schreibst-du-noch-oder-tippst-du-schon-13368180.html)
Finnland - Belgien -
Niederlande - Schweiz - England
Unter dieser Überschrift veröffentlichte die FAZ am
14.01.2015 einen kritischen Aufsatz zur vermeintlichen Abschaffung der
Schreibschrift. Um jene Zeit fanden sich in Titelzeilen auch
Formulierungen in Fettdruck wie "Finnland schafft die Schreibschrift in
Schulen ab"
oder "Finnland als Vorbild? Grundschüler sollen lieber
tippen als schreiben". Titelzeilen mit ähnlichen Inhalten gab es zuhauf
wohl
auch im westlichen
Ausland. Der belgische französischsprachige
Radiosender RTBF
(Radio-télévision Belge de la communauté française) sprach von
"Zeitungsenten", führte die Ursache für solche Botschaften aber
letztlich auf die Fehlübersetzung einer BBC-Meldung zurück. (Rédaction
RTBF - Publié le mardi 02 décembre 2014) Ein
Blick
in die finnische Zeitung "SAVON SANOMAT" sowie
eine Anfrage bei Frau Minna
Harmanen vom finnischen Nationalrat für Erziehungsfragen verschafften Klarheit: Derzeit
werden in Finnland sowohl die unverbundene 'Druckschrift' als
auch die verbundene Schreibschrift gelehrt. Letztere wurde in den 90er
Jahren verändert bzw. vereinfacht, d. h. von schnörkelnden
Schreibbewegungen befreit. Ab
2016 sollen Kinder nur noch in einer
Schrift zu schreiben lernen, in
'handgeschriebener Druckschrift'. Allerdings sollen Schulen - wie es
bisher heißt -
letztlich selber darüber entscheiden, ob ihre Schülerinnen/Schüler nur die unverbundene 'Druckschrift' als
Ausgangsschrift zu schreiben lernen oder - was kaum zu glauben ist -
gleichzeitig die unverbundene 'Druckschrift' und die verbundene Schreibschrift erlernen.
Man betrachtet dieses oben erstgenannte Prozedere als eine
Erleichterung für
Kinder
und will die gewonnene Zeit dazu nutzen, sie mit dem Computer schreiben
zu lassen. Die dahinter stehende Begründung, die Frau
Minna
Harmanen für RTBF offenlegt: "Les
compétences informatiques y sont considérées comme
indispensables pour faciliter l’insertion future des écoliers
finlandais sur le marché du travail."/"Als
unverzichtbar für
den Einstieg in
den Arbeitsmarkt werden für die finnischen Schüler/innen die Kompetenzen in Informatik gehalten."
Beim Finnischen sprechen wir, wenn
es um die Schriftsprache geht, von einer flachen Orthographie, d.
h., die Beziehungen zwischen Phonemen und Buchstaben(gruppen) sind als
ziemlich fest zu bezeichnen. Wie auch für das Italienische lässt sich
formulieren: In beiden Sprachen wird geschrieben wie auch gesprochen
wird. In Finnland und in Italien finden wir daher kaum LRS-Kinder
und
Legastheniker. Nähmen wir eine
enge Beziehung zwischen
Sprechen und Schreiben auch
für das Englische, Französische und das Deutsche an, würde sich das auf
die Schreibergebnisse katastrophal auswirken. Daher wird in Finnland
der Verzicht
auf eine verbundene Schreibschrift nicht einmal ähnlich gravierende
Auswirkungen haben wie z. B. in den USA oder in Deutschland. In diesem Zusammenhang möge man
sich daran erinnern (Siehe
Studie Montgomery!), welch großen Einfluss das
Erlernen einer verbundenen
Schreibschrift auf das
Erlernen einer guten Rechtschreibung hat, ganz besonders aber ist auch
daran zu denken, dass das Erlernen einer verbundenen
Schreibschrift
von Anfang an besonders rechtschreibschwachen Kindern und
Legasthenikern eine
unerlässliche Hilfe ist, um sie letztlich mit einer besseren
Rechtschreibung eine glücklichere Kindheit in der Schule erleben zu
lassen.
In Belgien, so versichert
RTBF, gebe es keine Debatten über unverbundene 'Druckschriften' und verbundene Schreibschriften. Es heißt: "Die verbundene Schreibschrift hat in unseren Schulen noch viele
schöne Tage vor sich." Die
belgische
Professorin Marie
Van Reybroeck (professeur en sciences de l’éducation à l’UCL) und die Psychopädagogin Marie-Jeanne
Petiniot (de la Haute Ecole Albert
Jacquard) bekräftigen im Interview bei
RTBF argumentativ diesen Sachverhalt. Zu den bereits oben vorgebrachten
Argumenten fügt sie hinzu: "..., il
est cependant
important de continuer à consacrer suffisamment de temps à la bonne
maîtrise du geste graphique. Car si le geste n’est pas automatisé,
l’enfant "gaspille" une partie de ses ressources mentales, ..."/"...., es ist
freilich wichtig, auch weiterhin genügend Zeit darauf zu
verwenden, bis die
Schreibbewegungen gut beherrscht werden. Denn wenn die Schreibbewegung
nicht automatisiert ist, "verschwendet" das
Kind einen Teil seiner geistigen Leistungsfähigkeit."
(http://www.rtbf.be/info/societe/detail_les-enfants-finlandais-continueront-a-ecrire-a-la-main-tordons-le-cou-a-un-canard?id=8496678/Stand
18.10.2015)
In der Spiegelausgabe vom 24.06.2013 war
über die schulische Entwicklung in den Niederlanden
zu lesen:
"Jedes Kind lernt, wann, wo und
was es will. Bücher gibt es
nicht mehr - aber auch keine Ferien: In den Niederlanden eröffnen die
ersten iPad-Schulen.
Think different. Das war mehr als nur ein
Werbeslogan, es war Programm. Mit ihm stellte Apple-Chef Steve Jobs die
Computerindustrie auf den Kopf, die Musikbranche und die
Mobiltelefonie. Als Nächstes wollte der Digital-Visionär auch Schulen
und Schulbuchverlage umkrempeln.
Was Jobs da womöglich eingefallen wäre, lässt sich jetzt in den
Niederlanden besichtigen. Im August eröffnen elf "Steve-Jobs-Schulen",
unter anderem in Amsterdam, Almere, Sneek und Emmen. An die tausend
Kinder zwischen vier und zwölf Jahren werden sie besuchen - ohne Hefte,
ohne Bücher und Ranzen, aber jedes von ihnen mit einem eigenen iPad.
Tafel, Kreide und Klassenzimmer werden abgeschafft, ebenso
Klassenlehrer, Klassenverband, Schulstunden, Sitzordnung, Füller,
Frontalunterricht, Stundenplan, Elternabende, Schulnoten,
Pausenklingel, feste Schulzeiten und Schulferien. Will ein Kind lieber
auf seinem iPad spielen, statt zu lernen, ist das okay. Und was es
lernen will, das bestimmt es je nach seiner eigenen Neugier selbst.
In der Stadt Breda nahe Rotterdam bereitet der künftige Direktor
Gertjan Kleinpaste, 53, den Umsturz vor. Seine iPad-Schule in der
Schorsmolenstraat dürfte bald zum Reiseziel neidvoller - oder auch
entsetzter - Reformpädagogen aus der ganzen Welt werden."
Henk Schweitzer
ist Rektor an einer
niederländischen Grundschule. Schweitzer hat auch
eine 'handgeschriebene Druckschrift' erfunden, die als
Ausgangsschrift dienen soll. Von
den Lehrerinnen und Lehrern, die er mit enormem Medieneinsatz
inzwischen zu einer begeisterten Schar von Gläubigen bekehren konnte,
lässt er sich gern 'Blokletterambassadeur' (Botschafter der
Druckschrift) nennen. Die von ihm kreierte
Schrift soll die in vielen Schulen noch gelehrten verbundenen
Handschriften ersetzen. Auch der Niederländer Ben
Hamerling, Dozent für Schreiben/Schreibentwicklung an der 'pabo Marnix Academie' in Utrecht, ist
Verfasser mehrerer Bücher/Schriften: Er erklärt darin die Vorteile
seiner 'handgeschriebenen verbundenen Schrift'. Der in den Niederlanden tobende Streit ist indes noch nicht
entschieden.
Die Schriften Hamerlings (oben)
und Schweitzers (unten)
Tafel
40
Auch in den
Niederlanden lässt sich mit der Erfindung von Schriften viel Geld
verdienen
Tafel 41
Wie in Deutschland wird jetzt auch in
der Schweiz die
verbundene Schreibschrift abgeschafft? Zumindest
behauptet das in
Deutschland die Werbung für die 'Grundschrift'.
(S. o. Zitat Brügelmann!)
In den französisch und italienisch sprechenden Teilen der Schweiz denkt
man nicht daran. Eine dreiminütige Dokumentation (RTS - Radio Télévision Suisse
francophone/30.04.2015)
über die Schreibpraxis in französischen Kantonen zeigt, welche Mühe
sich dort die Lehrerinnen/Lehrer geben, den Kindern die verbundene
Schreibschrift - deren Buchstaben den französischen ähneln -
beizubringen.
Das Video: L'écriture cursive a de beaux jours devant elle en Suisse romande
In
den französisch und italienisch sprechenden Teilen
der Schweiz ist es besonders Dr. Loyse Ballif, Professorin
für Schreibenlernen/Erstschrift in
Fribourg und Lausanne, die engagiert für die Beibehaltung der
verbundenen Schreibschrift eintritt, so z.B. in der Tageszeitung Le
Matin, Ausgabe vom 13.05.2013 sowie in der Tageszeitung 24heures
vom 4.12.2014:
Hier kann auf eine
Darstellung ihres Plädoyers für die Beibehaltung der
verbundenen Schreibschrift verzichtet
werden, da es in ihrer Argumentation keine Unterschiede zu der bereits
oben vorgetragenen gibt, wenn auch die Quellen der Forschungsergebnisse
nicht identisch sind. Inzwischen ist allerdings in
den französisch und italienisch sprechenden Teilen der Schweiz die Beibehaltung der
'ècriture cursive', der
verbundenen Schreibschrift, keine Sache mehr, um die gekämpft werden
muss: Die
Professorin für
Schreibenlernen/Erstschrift in
Fribourg und Lausanne, Frau Dr.
Loyse Ballif, hat gute Arbeit geleistet.
Auf einer Seite von RTF (Schweizer Radio und Fernsehen) wird am 4.
November 2014 unter der Überschrift "Schnörkel ade: Die traditionelle
Schnüerlischrift hat ausgedient" die in den deutschsprachigen Kantonen
eingeführte neue 'Basisschrift' beschrieben. Die Erklärungen auf den
folgenden Tafeln wurden wortgetreu aus der
Originalveröffentlichung
übernommen.
(http://www.srf.ch/news/schweiz/schnoerkel-ade-die-traditionelle-schnueerlischrift-hat-ausgedient/Stand:
10.10.2015)
Die
neue Basisschrift in den deutschsprachigen Kantonen: Einführung in drei
Etappen
Tafel 42
|
Das hört sich zunächst gut an, wenn man sich jetzt an das deutsche
Credo aus dem Grundschulverband erinnert: "Sie
(Anm. d. Autors: die
'Grundschrift') kann bei weiterem Gebrauch zur
individuellen Handschrift
weiterentwickelt werden".
In der deutschsprachigen Schweiz denkt man hingegen
zumindest ein
wenig mehr pädagogisch: Kleinschrittiges Einführen der
'verbundenen' Schreibschrift, die sich
"mit Hilfe der Beratung und Förderung der Lehrpersonen" zur
persönlichen Handschrift weiter entwickeln soll, durch
Unterrichtung also - und das bis in die 6. Klasse. Dennoch: Viele
Fragen bleiben offen. Im Übrigen gilt gegen die Einführung der Basisschrift ebenso genau
die Argumentation, die schon
oben gegen die Einführung der 'Grundschrift' vorgebracht wurde. Ob sich
die Kinder bis in die 6. Klasse mit der Entwicklung ihrer Handschriften
befassen lassen, muss allerdings sehr stark bezweifelt werden. Dass das
vielleicht aber auch gar nicht beabsichtigt ist, die Kinder zum
Schreiben
einer wirklich verbundenen Handschrift anzuleiten, ist wohl der oben
gezeigten Tafel 40/III zu entnehmen.
Erfinder
dieser Schrift ist der Schweizer Schriftsetzer, Zeichner und Grafiker
H. E. Meier mit beruflicher Tätigkeit an der Kunstgewerbeschule Zürich
sowie als Dozent
für «Schriftgestalten am Computer» am Institut für Computersysteme an
der ETH Zürich. In seiner Biographie heißt es u. a.:
"Parallel
zu dieser
Tätigkeit übernahm er ab 1950 auch
freie Auftragsarbeiten für die Industrie. Außerdem entstanden Plakate
für die Tonhalle Zürich sowie das Kunsthaus Zürich.
Ab 1978 hielt er zahlreiche Vorträge zum Thema Schrift in New York,
Providence, Portland, San Francisco, Los Angeles, Boston, Montreal,
Mainz, Zürich, Basel, Glarus, Leipzig, Stuttgart und Weimar. Zusätzlich
war er von 1984 bis 1992 Dozent für «Schriftgestalten am Computer» am
Institut für Computersysteme an der ETH Zürich.
Meier war außerdem noch Dozent für Schriftgestaltung am Computer im
Studienbereich Visuelle Gestaltung an der Hochschule für Gestaltung und
Kunst Zürich, der heutigen Zürcher Hochschule der Künste."
(https://de.wikipedia.org/wiki/Hans_Eduard_Meier/Stand:
10.10.2015)
Glückwunsch an Herrn Meier und die
Bildungsindustrie
Tafel
43
Es ist in der Schweiz nicht anders als in Deutschland: Zu Zeiten der
Schiefertafel waren die Handschriften ansehnlicher und lesbarer, heute
müssen Eltern für schlechtere Ergebnisse viel Geld bezahlen. Hinzu
kommt: Da die Übungs-/Schreibhefte Verbrauchsmaterialien sind, müssen
sie
für jedes ihrer Kinder Neukäufe tätigen. Da ist doch ein
Glückwunsch an die Bildungsindustrie angebracht!
Wie es in England
mit 'English writing' ist, las man am 29. Juni 2011 in der britischen
Tageszeitung 'The Guardian':
"England's national
curriculum says children aged five and six
should be taught to join when they write.
[...]
Gwen Dornan, of the National Handwriting Association,
says that
while children now see so much text generated by computers, joined-up
writing is not an anachronism. «The upper junior and secondary
age pupil unable to pick up a pen and write quickly and legibly on
paper is still at a considerable disadvantage. Time is wasted writing
slowly; there is frustration when the text cannot be easily read; and
a loss of confidence is commonly the result.»
Anna Barnett, a child psychologist, says letter
formation should
become automatic for children. «The same is true for joining
letters: the correct movement pathways need to be taught, so that
joining becomes fluent and automatic. This will promote legibility
and speed, which are crucial aspects of writing.»"
XIII.
Muss man die Leseschrift eigentlich auch schreiben können?
"Wenn
die Kinder die Buchstaben der Schreibschrift
lernen, sagt man ihnen, dass das die Buchstaben zum Schreiben - und
nicht die der Lektüre, also der Bücher sind." Das ist die Philosophie,
nach
der die Kinder in Frankreich zu schreiben lernen.
Damit mag es auch zusammenhängen, dass in Frankreich kaum Schülerinnen
und Schüler aus ihrer
verbundenen Schreibschrift heraus eine 'persönliche Handschrift mit
unverbundenen Druckbuchstaben' entwickeln. Lediglich bei den
Großbuchstaben an Satzanfängen oder in Eigennamen verwenden die
Franzosen die 'majuscules', meistens in der Variante als
Druckbuchstaben, dann unverbunden mit dem Rest des Wortes. Das sehen wohl auch die
vom 'Ministère
de l’éducation nationale' herausgegebenen Leitfäden so
vor.
Dementsprechend bieten auch die im Internet angebotenen
Schrift-Fonts nur dies
als Möglichkeit an, was sich natürlich dann auch zeigt, wenn deutsche
Texte in der französischen Ausgangsschrift geschrieben werden. (Siehe oben!)
In der DDR lernten
Kinder mit der Schulausgangsschrift miteinander
verknüpft die
verbundene Schreibschrift als Schreibschrift und die
Druckschrift als Leseschrift. In einer sehr lesenswerten Dokumentation "Zur
Entwicklung der vereinfachten Schulausgangsschrift der DDR 1968"
(http://www.qucosa.de/fileadmin/data/qucosa/documents/9574/Ausstellungstafeln_SAS.pdf)
der beiden
Schriftgestalterinnen der Schulausgangsschrift Elisabeth
Kaestner (Schreibdidaktikerin
am Institut
für
Lehrerbildung in Radebeul) und Renate Tost (Schriftgrafikerin)
heißt es u. a. :
"Ab
1968 wurde nun nach einem kurzen Vorkurs im Schreibunterricht in den
Schulen der DDR auf das Nachmalen der Druckbuchstaben verzichtet. Von
Anfang an lief die Erarbeitung der zu lesenden
Druckbuchstaben in der
Fibel mit den entsprechenden Schreibbuchstaben im Vorlageheft
parallel. Dadurch war es möglich, alle Schreibbuchstaben und deren
Verbindungen im ersten Schulhalbjahr in ihrer Grobform zu erarbeiten." (Hervorhebung d. d. Autor)
Nachdem
die
Kinder also ohne Umweg die verbundene Schreibschrift sicher erworben
hatten
und die Druckschrift zu lesen imstande waren,
lernten sie später die
'Gleichstrich-Kursiv-Schrift' zum Schreiben von
Eigennamen und zur
Beschriftung von Zeichnungen, auch genannt "Beschriftungsform". Die
Weiterentwicklung der Schulausgangsschrift zur Antiqua-Kursiv als
'Schulschrift-Kursiv' erfolgte im Kunstunterricht
der Klassen 4 und 5: Schulschrift-Kursiv
wurde jedoch keineswegs zu dem Zweck gelehrt, sie nunmehr auch im
Unterrichtsalltag für fortlaufende Texte zu verwenden.
Sind Kinder nicht
überfordert? So mag
sich schon damals manche Lehrerin, mancher Lehrer gefragt haben. Der
Hamburger Erziehungswissenschaftler Professor Dr. Peter May führte
unmittelbar nach der sog. Wende eine Untersuchung (1990) durch, in der
die
Leistungen im Rechtschreiben in Diktaten und Aufsätzen von
Viertklassschülern in Hamburg sowie in den ostdeutschen Städten
Potsdam, Rostock und Zwickau gemessen wurden. Sie zeigte überdeutlich,
wohin die in Westdeutschland verbreitete Idee von der 'neuen
pädagogischen Leistungskultur' und die damit unzählbaren Innovationen,
gerade im Deutschunterricht in den
Grundschulen, geführt hatten. Peter May fasste die Ergebnisse
zusammen:
"Im
Aufsatz schreiben
die
ostdeutschen Viertklassenschüler im Mittel längere Texte. Hier wie
dort ist die Spannweite der Textlänge außerordentlich groß
-zwischen vier (!) und 338 Wörtern. Bessere Rechtschreiber schreiben
im Durchschnitt auch längere Texte als schwächere Rechtschreiber.
Die Textkohärenz der Geschichten der DDR-Kinder ist im Mittel höher,
die Geschichten haben in aller Regel einen logischen Schluß, sind
aber eher formal aufgebaut. Die Hamburger Kinder verlieren sich bei
höherer Textkomplexität eher in phantastische Konstruktionen,
brechen ihre Geschichten häufiger einfach ab, produzieren dabei aber
auch mehr schwierigere und längere Wörter. Die DDR-Kinder
konstruieren längere und kompliziertere Sätze, wie allein die
Verwendung von "daß" als Nebensatzeinleitung belegt: in
der DDR im Mittel 0,7 mal pro Aufsatz, in Hamburg nur 0,2 mal pro
Aufsatz.
Bezüglich der
Rechtschreibung in Aufsätzen zeigen sich die DDR-Kinder am Ende der
vierten Klasse den Hamburger Kindern im Mittel deutlich überlegen:
95,4 % aller Wörter der DDR Kinder enthalten keine
Rechtschreibfehler (in Hamburg: 86,3 %). Noch deutlicher werden die
Unterschiede, wenn man nur die verschiedenen Wörter (ohne
Eigennamen) betrachtet: 92,4 % vs. 77,8 % der verschiedenen Wörter
enthalten weder Rechtschreib- noch Grammatikfehler."
(http://www.peter-may.de/Dokumente/May_doc/May95a.pdf/Stand:
15.10.2015)
[...]
"Bezüglich der Rechtschreibsicherheit bei vorgegebenen Wörtern und
Sätzen zeigen die ostdeutschen Kinder in allen Klassen deutliche
Vorteile, wobei die Unterschiede zu den Hamburger Kindern im Laufe der
Grundschulzeit wachsen. Die Unterschiede bleiben auch dann enorm, wenn
die - in Hamburg wesentlich häufigeren - Ausländerkinder aus dem
Vergleich ausgeklammert werden. Der Anteil von Schülern mit
Rechtschreibleistungen, die nach Hamburger Kriterien als
überdurchschnittlich einzustufen sind, ist schon gegen Ende der ersten
Klasse höher und steigt bis gegen Ende der Grundschulzeit auf etwa 60
Prozent. Gleichzeitig ist die Gruppe der schwachen Rechtschreiber in
der DDR zahlenmäßig gering, und extrem schwache Rechtschreiber finden
sich dort äußerst selten." (ebd.)
In Gesprächen mit Lehrerinnen/Lehrern, die
seinerzeit in der DDR den Anfangsunterricht erteilt hatten, fand sich
übrigens niemand, der es seinerzeit für eine Überforderung der
Erstklässler
gehalten hätte oder inzwischen gegenteiliger Meinung ist, den
Schreibunterricht in der oben aufgezeigten Form zu organisieren.
Etliche von ihnen verwiesen voller Stolz auf die oben zitierten
Ergebnisse aus der Ost-West-Studie bzw. auf den Stand der
Rechtschreibleistungen zum Zeitpunkt der Wende. Und
immer wieder betonten sie auch diesen Gegensatz zum heutigen
Schreibunterricht: "Die Erstklässler
bei uns lernten damals die Schulausgangsschrift zu schreiben und zu
lesen sowie die Druckschrift zu lesen, und das alles nebeneinander in
einem Lehrgang."
Druckschrift
und verbundene Schreibschrift: Lesen
können
muss man sie beide.
Aber wozu muss man die Druckschrift auch mit der Hand schreiben können?
Tafel 44
In der derzeitigen Diskussion
bleibt die Frage unbeantwortet, wozu deutsche Kinder zuerst eine
unverbundene handgeschriebene 'Druckschrift' erlernen sollen,
um anschließend selber dann daraus ihre verbundene Schreibschrift
zu entwickeln. Es kann nicht - wie oben
bereits gezeigt - argumentiert werden, dass sie ohnehin überall
auf jene Gemischt-Antiqua, an der sich die 'Grundschrift'
orientiert, stießen. In Deutschland begegnen sie nämlich in nahezu jeglichem
Schrifttum,
insbesondere in Zeitungen/Zeitschriften, in Büchern, auch in
Kinderbüchern, den in Garamond-Schrift (Tafel 21)
geschriebenen Texten, einer
französischen Renaissance-Antiqua, der in Deutschland am häufigsten
verwendeten Druckschrift. Kinder aus bildungsfernen Elternhäusern und Kinder
mit Migrantionshintergrund aus Ländern mit völlig anderen
Schriftzeichen können mit dieser wenig durchdachten Argumentation auch
nicht gemeint sein.
Das Argument, unverbundene Schreibschriften wie die
handgeschriebene 'Druckschrift' oder die teilverbundene Schrift seien
leichter zu erlernen als verbundene Schriften, ist mit keiner Studie
belegt. (Siehe oben!)
Die Ergebnisse aus seriösen wissenschaftlichen Untersuchungen
geben alles andere als einen Anlass zu dem Schluss her, handgeschriebene
'Druckschrift' und teilverbundene Schrift seien die
geeigneteren Anfangsschriften für Erstklässler. Bereits oben zitiert
wurden die
niederländischen Fachwissenschaftler Prof. van Meulenbroek und Prof.
van Galen, die
bereits vor 30 Jahren in empirischen Untersuchungen herausfanden, dass verbundene
Schriften mehr an
motorischer Koordination erfordern. Die aber auch richtig
stellten: Nur beim
Erlernen dieser Schriften spielt
das eine Rolle.
Wenn das Schreiben erst
einmal automatisiert ist, ist das Schreiben in einer verbundenen
Schrift schneller als dasjenige in 'Druckschrift'. (Van Meulenbroek u.
van Galen .1986) Zweifelsohne ist es so, dass das Erlernen einer
verbundenen
Schreibschrift mehr
Zeit in Anspruch nehmen wird als das Erlernen einer handgeschriebenen
'Druckschrift'. Aufwendiger ist es auch deshalb, weil Kinder in das
Schreiben mit verbundenen Schriften nur kleinschrittig von sachkundigen
Lehrerinnen und Lehrern eingeführt werden können. Da sind nun wirklich
alle seriösen Fachwissenschaftler einer Meinung, auch darin, dass es
dann anschließend - rhythmisierend - vieler, vieler Übungsphasen
bedarf:
Denn das ist der einzige Weg zur Automatisierung ökonomisch günstig
gestalteter
Schreibbewegungen, die in ihrem Resultat auch ästhetischen Ansprüchen
genügen sollen.
Die deutschen
Grundschulen sind seit Jahrzehnten bekannt für ihre bedenklichen, aber
immerhin publikumswirksamen Innovationen, die nahezu allesamt
zunächst einmal
von 'Annahmen', also von Mutmaßungen ausgingen. Empirische Grundlagen
gab es fast nie. So
ist es auch mit dieser Innovation: der Einführung der 'Grundschrift'. Ohne
solide Erprobung mit Evaluationen über Jahre hinweg und ohne
begleitende Longitudinalstudien, die zu validen Befunden führen
könnten, weisen aber solche schulischen Neuerungen in
besonderem Maße alle Züge eines Experiments auf. Über Reformvorhaben
dieser Art spöttelte denn auch der bekannte Erziehungswissenschaftler
Prof. J.
Oelkers, „dass ihre Erprobung paradoxerweise mit dem Ernstfall
beginnt.“ Studien, die die reformpädagogischen Annahmen nicht
bestätigen können und zu gegenteiligen Ergebnissen führen, werden
ignoriert oder unter Beschuss genommen. Das betrifft auch jene
abwegigen Ideen, man müsse Kindern das Schreiben- und Lesenlernen durch
das Erlernen einer Druckschrift als Erstschrift erleichtern und ihnen
die darauf folgende Entwicklung einer verbundenen Schreibschrift herumexperimentierend und
selbstbestimmt in einer Art von selbstverantwortetem
offenem Unterricht selber überlassen. Das
Schriftgut des
Reformpädagogen Prof. Brügelmann liefert hierfür zahreiche Beweise.
Zu den zahllosen prominenten Befunden zum Beharren auf solchen falschen
'Annahmen' gehören auch die des Professors G. Roth:
Der Offene
Unterricht, wie er pr0pagiert und praktiziert wird: Der
Professor für Verhaltensphysiologie und Entwicklungsneurobiologie Dr.
Gerhard Roth (Institut
f. Hirnforschung Bremen): "Trotz der Tatsache,
dass ein »selbstregulierter«, »selbstverantwortlicher«
oder »selbstorganisierter«
Unterricht als alleinige Unterrichtsform von vielen selbsternannten
Schulexperten als Allheilmittel angepriesen wird und man nun auch in
manchen Bundesländern auf diese Karte setzt, gibt es keinerlei
empirische Beweise hierfür, aber viele dagegen." (Dr. Gerhard
Roth: Bildung braucht Persönlichkeit - Wie Lernen gelingt. Stuttgart
2015)
Missverstandenes 'erleichterndes Lernen': "In den Augen der Neurobiologen und Lernpsychologen ist es deshalb nachteilig, wenn die Lernsituation zu entspannt und »kuschelig« ist und der Unterricht ohne jede Anstrengung auf niedrigstem Niveau passiert. Insbesondere wird dabei das Aufmerksamkeitssystem nicht genügend aktiviert. Zudem hängt der Behaltenserfolg eines Inhalts mehr oder weniger direkt von der Anstrengung ab, die das Gehirn für den Erwerb aufgewandt hat. Hier gilt der Grundsatz: Was mich keine Anstrengung gekostet hat, das behalte ich auch nicht." (ebd.)
Die Diskussion um einen Schulbeginn mit
einer handgeschriebenen 'Druckschrift', mit einer 'teilverbundenen
Schrift' oder
mit
verbundenen Schriften müsste
nicht weiter
verfolgt werden, würde
man zur
Kenntnis nehmen, dass die Anwendung handgeschriebener Druckschriften im
Zeitalter der allgegenwärtigen Tastatur tatsächlich
nirgendwo mehr verlangt wird. Sollte ausnahmsweise dennoch irgendwann
einmal danach gefragt werden, könnten die Großbuchstaben der
Schulausgangsschrift vollen Ersatz leisten.
Wie oben gezeigt, ist die Forderung, den Anfangsunterricht mit einer
verbundenen Schreibschrift zu beginnen, aus der Sicht
ausgewiesener Fachwissenschaften plausibel und längst nicht mehr
zu überhören. Gäbe es hierzulande nicht den Zwang, im Anfangsunterricht
eine 'handgeschriebene Druckschrift' lernen zu müssen, bräuchten die Kinder tatsächlich nur eine
Schrift zu erlernen, eine verbundene Schreibschrift, die, wie in
zahlreichen Studien nachgewiesen, in unterschiedlichen Lernbereichen
des Sprachunterrichts
höchste Wirksamkeiten entfaltet. Bereits 2009 zeigte eine
Studie* der Professorinnen
Florence Bara (Frankreich, Institut
Universitaire de Formation des Maîtres de Bretagne – IUFM) und
Marie-France Morin (Kanada, Université de Sherbrooke/Québec), »que
le double apprentissage est contre-productif et que l’apprentissage
d’un seul système est plus efficace«/"dass
doppelte Schreiblehrgänge kontraproduktiv sind und die Lehre
nur einer Schrift effektiver ist".
Weiter heißt es: »Cette étude permet de questionner la tradition
du double enseignement des styles d’écriture au Québec, en
testant la validité d’un argument couramment avancé, qui suggère
que la discordance entre l’écriture cursive et les caractères
d’imprimerie nuirait au transfert entre la lecture et
l’écriture.«/"Diese
Studie vermochte es, die Unterrichtung zweier Schriften, wie es in
Québec Tradition ist, zu hinterfragen und dabei die Validität eines
häufig vorgebrachten Arguments zu untersuchen, das zu der Annahme
verleitet, dass die optische Diskrepanz zwischen verbundener Schrift
und Druckschrift den Transfer zwischen Leseschrift und Schreibschrift
beeinträchtige."
An Hand der Ergebnisse aus der
Studie hielten die beiden Professorinnen die Kinder für "... capables d’associer des caractères
différents en
lecture et en écriture, l’apprentissage de l’écriture cursive
en 1re
année ne nuirait pas à la lecture."/"... fähig, mit
den unterschiedlichen Eigenschaften zwischen Leseschrift und
Schreibschrift fertig zu werden, was heißt, die Unterrichtung einer
verbundenen Schreibschrift im 1. Schuljahr beeinträchtigt nicht das
Lesen der Leseschrift."» *(Florence Bara et Marie-France Morin:
"Est-il
nécessaire d’enseigner l’écriture script en première année ?
Les effets du style d’écriture sur le lien lecture/écriture".
Nouveaux
cahiers de la recherche en éducation,
vol. 12, Nr.
2,
2009)
Der bereits mehrfach erwähnte Kognitionswissenschaftler Prof. Stanislas
Dehaene erklärt, warum das so ist:
"Die große Leistung unseres Worterkennungssystems besteht darin, dass es zwei scheinbar widersprüchlichen Forderungen gerecht zu werden hat: Es muss nutzlose Variationen ausblenden, selbst wenn sie sehr ausgeprägt sind, und gleichzeitig die relevanten Unterschiede verstärken, auch wenn diese sehr klein sind. Ohne dass es uns bewusst würde, kompensiert unser visuelles System automatisch enorme Abweichungen bei Größe oder Schrifttyp der Schriftzeichen. Es liefert uns die abstrakte Identität des Wortes unabhängig von dessen grafischer Darstellung."( Joseph-Jules Déjerine in: Stanislas Dehaene: Lesen. München 2010)
Dieses abstrakte
Wissen führt Dehaene auf die Existenz von Buchstabendetektoren zurück,
" - auf Neuronen, die imstande sind, hinter sehr unterschiedlichen
Formen auszumachen, um welche Lettern es sich handelt." - "Wenn wir
fähig sind, die Wörter 'sechs', 'SECHS' oder SeChS' als gleichbedeutend
zu erkennen, so liegt es daran, dass unser Sehsystem weder den Umriss
des Wortes noch die auf- und absteigende Linie der Lettern beachtet -
es interessiert sich allein für die invariante Erkennung der
Buchstabenfolge."
Die
Kinder in der damaligen DDR hatten keine Probleme damit, nach
gründlichem und variationsreichem Üben sowie nach einigen
Monaten der Lese- und Schreiberfahrung Texte in Druckschrift lesen und
in Schreibschrift übertragen zu
können: Die jeweils vier Erscheinungsformen der einzelnen Buchstaben
waren den Kindern von Anfang an bekannt (Siehe Viererfenster Tafel 22!), d. h. die
Buchstaben der Schulausgangsschrift zum Schreiben,
diejenigen der Druckschrift zum Lesen.
Kinder lernen durch vielmaliges
Üben, was geübte Leser - auch durch Übung - gelernt haben. Geübte Leser
nehmen beim Lesen die Buchstaben nicht etwa
einzeln
hintereinander wahr, sondern
simultan, und es gelingt ihnen dank der oben erwähnten Buchstabendetektoren "hinter sehr unterschiedlichen
Formen auszumachen, um welche Lettern es sich handelt."(ebd.)
Unser visuelles System kompensiert
automatisch enorme Abweichungen bei
Größe oder
Schrifttyp der Schriftzeichen
Tafel 45
Wenn Erstklässler mit einer
verbundenen Schreibschrift beginnen:
Die Lernerfolge schon nach wenigen
Monaten der Lese- und Schreiberfahrung sind
beachtlich
Tafel
46
Um das leisten zu können, sind die französischen Kinder im Kindergarten sorgfältig vorbereitet worden: mit Malen, Formen und Kneten, mit dem Zeichnen von Spiralen, Kurven und Schlingen, dem Erkennen von horizontalen und vertikalen Linien, Diagonalen und Kreisen. Sie haben gelernt, alle Buchstaben zu schreiben, zuerst die großen Druckbuchstaben, dann die kleinen Schreibschriftbuchstaben. Hier werden die Fundamente zu einer speziellen Stufe der Lesefähigkeit gelegt, nämlich dank der oben erwähnten Buchstabendetektoren "hinter sehr unterschiedlichen Formen auszumachen, um welche Lettern es sich handelt." (Dehaene)
Frankreich: Aufgaben im letzten
Kindergartenjahr:
Aus Majuskeln gebildete Wörter sowie Wörter in verbundener Schreibschrift müssen sie unterscheiden
und schreiben können,
aus Minuskeln gebildete Wörter müssen sie unterscheiden können*
Tafel 47
*Entoure le mot .../Umrande das Wort ...
Écris le mot .../Schreibe das Wort ...
Découpe et colle les lettres du mot .../Schneide die Buchstaben
aus und klebe sie zusammen zum Wort ...
Die Kinder
können zwar - bis auf Ausnahmen - das Geschriebene noch nicht lesen,
durch die
Schreibübungen verstehen sie aber, dass die Schrift eine Bedeutung hat.
Mit Hilfe
solcher und ähnlicher
Arbeitsmittel sollen sie auch lernen, dass Buchstaben in
unterschiedlicher Verkleidung auftreten können. In
der école primaire (Grundschule) wird der begonnene Weg fortgesetzt,
jetzt erst lernen sie
das Buchstabieren, (den Sinn verstehend) Texte in verbundener
Schreibschrift zu schreiben und
sie zu lesen,
sie schließlich auch in Druckschrift zu lesen. Eine ständig gepflegte
Übung ist das Transkribieren von Texten in
Druckschrift in solche in
verbundener Schreibschrift. Und wieder heißt es: Wenn
die Kinder die Buchstaben der Schreibschrift
lernen, sagt man ihnen, dass das die Buchstaben zum Schreiben - und
nicht die der Lektüre, also der Bücher sind.
Aufgabe:
Transkribieren des Textes in verbundene Schreibschrift
Tafel 48
André Ouzoulias, der
französische Professor der pädagogischen Psychologie mit
Tätigkeit in der Lehrerausbildung (l'Université de
Cergy-Pontoise/ l'Institut universitaire de formation des maîtres
(IUFM) de l'académie de Versailles), weist im Anschluss an seine Forschungsarbeiten wiederholt
darauf hin, "dass viele Kinder, die als Anfangsschrift eine Art von unverbundener Schrift
gelernt haben, später beim Abschreiben in dieser Manier geschriebene
Texte wiederum Buchstabe für Buchstabe abschreiben. Kinder dagegen,
denen in einem gründlichen Lehrgang
eine verbundene
Schreibschrift als
Ausgangsschrift beigebracht wurde, schreiben die einzelnen Wörter
in Buchstabengruppen ab, wobei Buchstabengruppen oft Silben
abbilden: Mon ¤ tag. Es so zu machen, haben sich die französischen
Kinder nicht
selber beibringen müssen: Ihre Lehrerinnen/Lehrer haben es ihnen viele
Male gezeigt, sie haben es mit Unterstützung unzählige Male
geübt. Das Abschreiben in
Buchstabengruppen, die in der Regel Silben oder Morpheme sind, ist in
vieler Hinsicht - wie oben gezeigt - nutzbringender als das Abschreiben
einzelner Buchstaben
in der Art von 'Hinschauen', 'Schreiben',
'Hinschauen',
'Schreiben', ..... .
Die Kinder sollen lernen, nicht mehr buchstabierend zu schreiben,
sondern in größeren Einheiten (z. B. in Silben, Morphemen): Die Ziele sind die
Entwicklung eines motorischen Schreibautomatismus und
das Schreiben in der verbundenen Schrift, die letztendlich schneller
ist als die Druckschrift." (Übersetzung d. d. Autor/Verfasser: André Ouzoulias: Le
problème de l’exécution matérielle des textes (la
cursive). In: Comprendre et
aider les enfants en difficulté
scolaire. Retz/Fname, 2004) Damit
das
gelingen kann, wiederholt André Ouzoulias mehrfach seine Forderung,
"enseigner la cursive de façon
rigoureuse et systématique"/"die verbundene
Schreibschrift gründlich
und systematisch zu lehren". (ebd.)
Schon bald
nach
den 68er Jahren machte
in der linken reformpädagogisch orientierten Szene ein
Slogan die Runde, der den Einstieg in zahlreiche sich verhängnisvoll
auswirkende - insbesondere - grundschulpädagogische Innovationen
markierte: "Rechtschreibwissen ist Herrschaftswissen"
und sei als "elitäres Wissen zu
verabscheuen",
da es schon immer als Herrschaftsinstrument der herrschenden Klasse
missbraucht werde.
Maßgeblich beteiligt an der daraus folgenden Entwicklung waren der oben
bereits mehrfach erwähnte Prof. Brügelmann sowie der Grundschulverband
(der damals noch Arbeitskreis Grundschule hieß).
Ging es zunächst um die Einführung neuer didaktischer Vorstellungen
bezüglich des Schriftspracherwerbsunterrichts (Variationen der
Lesen-durch-Schreiben-Didaktik, 'Spracherfahrungsansatz'), so folgten
bald schon die nächsten Innovationswellen, wiederum mit Ideen zum
Grundschulunterricht. Leser
dieser Seiten, die bis in die frühen 80er Jahren zu schreiben und zu
lesen gelernt haben, mögen sich daran erinnern: Alle Kinder, die
seinerzeit die Grundschule besuchten, begannen mit einer verbundenen
Schrift zu schreiben, und noch bevor der Schreiblehrgang abgeschlossen
war, brachten viele Kinder - ohne besondere Lehre - eigeninitiativ und
'selbstreguliert' sich selber das Lesen der Druckbuchstaben
und somit
die Fähigkeit bei, gedruckte Texte lesen zu können: Ganz so, wie
es die
Kinder schon in den Jahrzehnten zuvor gemacht hatten. Die Innovation
dann in
den 80er Jahren: Kinder beginnen in 'Druckschrift' zu schreiben und
lernen anschließend, eine Schreibschrift zu schreiben; wobei die Idee
um 2000 eine weitere Variation erfährt: Sie sollen, gibt man ihnen
die Buchstaben einer Druckschrift vor, sich daraus ihre persönliche
Schreibschrift selber entwickeln. Auch diese Innovation stammt aus dem
oben bereits erwähnten Lager, ihre Argumentation:
Die handgeschriebene 'Druckschrift' ist leichter zu erlernen als eine verbundene Schrift.
Die Kinder lernen zuerst eine handgeschriebene 'Druckschrift', die als Schrift zum Schreiben dieselbe ist wie die Leseschrift/Druckschrift (z. B. in Büchern). Ist die Ausgangsschrift jedoch eine verbundene Schreibschrift, haben die Kinder es erheblich schwerer, Druckschriften lesen zu lernen.
Zu 1.) Diese
Behauptungen wurde nie empirisch abgesichert, oben wurde gezeigt, dass
das Gegenteil der Fall ist. Es ist irrig anzunehmen, beim Erlernen der
handgeschriebenen 'Druckschrift' ergäben
sich keine Probleme, Beispiele:
Prof. André Ouzoulias (ebd.) zeigt für das französische Verb 'tomber' (fallen), wie viele einzelne Linienzüge (traits) nötig sind, um dieses Wort in den beiden unterschiedlichen Schriften zu schreiben: So zählte er für das Schreiben von 'tomber' in handgeschriebener 'Druckschrift' "11 traits", für das Schreiben in verbundener Schreibschrift nur "3 traits".(ebd.)
Wie oben bereits gezeigt, haben wir es bei Schreibanfängern bei den handgeschriebenen Druckbuchstaben oftmals mit Verwechslungen zu tun, besonders bei ; 'q - p'; 'b - d'; 'n - u; 'm - w'; 't - f'; 'S - Z'; 'W - M'; 'T - L'; 'Z - N'. Prof. L. Schenk-Danziger spricht von einer "optischen Differenzierungsschwäche". (Lotte Schenk-Danzinger: Entwicklung - Sozialisation - Erziehung. Stuttgart 2001) Die unterschiedliche graphische Gestaltung der Schreibschriftbuchstaben vermag es offenbar, diese Problematik weitestgehend auszuschalten, Beispiel:
Es kommt vielmalig zu Schwankungen bezüglich der Höhe der Buchstaben. Dieses Problem wird bei handgeschriebenen Druckschriften öfter beobachtet als bei verbundenen Schreibschriften.
Links-Rechts-Neigungen
der einzelnen Druckbuchstaben sind oft - sogar innerhalb eines Wortes
- ausgeprägt
beliebig und
erschweren
das Lesen von Texten. Verbundene Schriften weisen gemäß Lehre eine
leichte Rechtsneigung auf. Bei einer sorgfältigen und gewissenhaften
Einführung in das Schreiben einer verbundenen Schreibschrift taucht
dieses o. g.
Problem
nicht auf.
Es gibt
Probleme,
beim Aneinanderreihen der einzelnen Druckbuchstaben zumindest ähnlich
breite Abstände einzuhalten. Auch diese Problematik, die das Lesen in
erheblichem Ausmaß beeinträchtigen kann, finden wir beim Schreiben
verbundener Schriften in der Regel nicht: wenn im Unterricht auf
ökonomisch gestaltete Buchstabenverbindungen geachtet wird.
Zu 2.) Auch
diese
Behauptung ist vielfach widerlegt:
Das wurde oben bereits erwähnt: Bis in die 80er Jahre begannen in der BRD die Kinder mit einer verbundenen Schrift zu schreiben, und noch bevor der Schreiblehrgang abgeschlossen war, hatten viele Kinder - ohne besondere Lehre - eigeninitiativ und 'selbstreguliert' sich das Lesen der Druckbuchstaben selbst beigebracht und damit die Fähigkeit erworben, gedruckte Texte lesen zu können. Schwächeren Schülerinnen/Schülern standen die Lehrerinnen und Lehrer bei, besondere Lehrgänge zum Lesen der Druckbuchstaben waren unüblich. Die handgeschriebene 'Druckschrift' etwa als zweite Schreibschrift einzuführen, galt damals als abwegig. Die Druckschriftbuchstaben zu schreiben, und das sogar recht variationsreich, wurde seinerzeit jenseits der ersten vier Schuljahre thematisiert: im Kunstunterricht.
Der bereits mehrfach erwähnte Kognitionswissenschaftler Prof. Stanislas Dehaene beschreibt schon seit Jahren, was unser Hirn zu meistern imstande ist: "Die große Leistung unseres Worterkennungssystems besteht darin, dass es zwei scheinbar widersprüchlichen Forderungen gerecht zu werden hat: Es muss nutzlose Variationen ausblenden , selbst wenn sie sehr ausgeprägt sind, und gleichzeitig die relevanten Unterschiede verstärken, auch wenn diese sehr klein sind. Ohne dass es uns bewusst würde, kompensiert unser visuelles System automatisch enorme Abweichungen bei Größe oder Schrifttyp der Schriftzeichen. Es liefert uns die abstrakte Identität des Wortes unabhängig von dessen grafischer Darstellung."( Joseph-Jules Déjerine in: Stanislas Dehaene: Lesen. München 2010)
Die bereits oben erwähnten Professorinnen Florence Bara (Frankreich) und Marie-France Morin (Kanada) kamen bereits 2009 in ihrer gemeinsamen Studie zu dem Ergebnis: "Diese Studie vermochte es, die Unterrichtung zweier Schriften, wie es in Québec Tradition ist, zu hinterfragen und dabei die Validität eines häufig vorgebrachten Arguments zu untersuchen, das zu der Annahme verleitet, dass die optische Diskrepanz zwischen verbundener Schrift und Druckschrift den Transfer zwischen Leseschrift und Schreibschrift beeinträchtige." An Hand der Ergebnisse aus der Studie hielten die beiden Professorinnen die Kinder für fähig, "mit den unterschiedlichen Eigenschaften zwischen Leseschrift und Schreibschrift fertig zu werden, was heißt, die Unterrichtung einer verbundenen Schreibschrift im 1. Schuljahr beeinträchtigt nicht das Lesen der Leseschrift." Florence Bara et Marie-France Morin: "Est-il nécessaire d’enseigner l’écriture script en première année ? Les effets du style d’écriture sur le lien lecture/écriture". Nouveaux cahiers de la recherche en éducation, vol. 12, Nr. 2, 2009)
Die
Verursacher der heutigen Diskussionen um 'teilverbundene
Druckschrift' und
'handgeschriebene Druckschrift' sind in jenen Kreisen zu suchen, die
seinerzeit sich selbst
inszenierend vor dem Hintergrund merkantiler Interessen mit ihren
wissenschaftsfeindlichen Postulaten die
Grundschulen in ein reformpädagogisch motiviertes Innovationschaos
stürzten, dessen sich potenzierende Auswirkungen erst nach und nach ins
Bewusstsein dringen.
Heute sollen sie, die sieben- und achtjährigen,
gefälligst selbstgesteuert, eigeninitiativ und selbstverantwortlich die
Entwicklung ihrer verbundenen Schrift in
die Hand nehmen, d. h., schon die
Erstklässler tragen die volle Verantwortung für das
Erreichen einer flüssigen, ästhetisch
ansprechenden und gut lesbaren verbundenen
Handschrift. Würden Schreibpädagogen, die zudem noch über
Vor-Ort-Erfahrung in Grundschulen verfügen, den Eltern erzählen, aus
"diesen gedruckten Buchstaben"
der Grundschrift könnten Kinder sich ihre
persönliche (verbundene)
Handschrift entwickeln,
müsste man das jedoch für eine Täuschung in ihrer schlimmsten
Ausprägung
halten. Ergebnisse aus der einschlägigen internationalen
Forschung finden
wir beispielsweise auch in Formulierungen wie dieser:
Von dort, wo die neue Grundschrift als 'handgeschriebene
Druckschrift' bereits
selbstbestimmt zu einer Art 'teilverbundener Grundschrift'
fortentwickelt werden soll, berichten
empörte Eltern, dass sie bei
ihren Kindern mit großer Sorge auf
das zeitraubende und demotivierende Herumexperimentieren mit
Buchstaben und Wörtern blicken, das von Ziellosigkeit,
Beliebigkeiten und Zufälligkeiten
geprägt ist. Äußern Eltern ihre Bedenken, verweisen
die Lehrerinnen/Lehrer sie
auf
die (teuren) Zusatzmaterialien der Verlage, auch auf die des
Grundschulverbands: Pädagogik in der Knechtschaft merkantiler
Interessen. Nicht sachkundige Schulpolitik
bestimmt schon seit Jahren, was
und wie in den Schulen gelehrt wird. Heute sind es die
privatwirtschaftlichen Interessen von Lernmittelentwicklern und der
boomenden Lernmittelindustrie, die vorgeben, was in den
Richtlinien und Lehrplänen zu stehen hat. Ohne jeglichen
Sachverstand werden zuhauf neue Unterrichtsmittel konstruiert und
auf den Markt geworfen. Zu viele Lehrerinnen und Lehrer, insbesondere
in der Grundschule, nehmen die hinter den Neuentwicklungen stehende
Profitgier kaum wahr und greifen gläubig und begierig nach allem, was
auch immer als "modern" angepriesen wird.
Hier
aber jetzt noch einmal die Ausgangsfrage: Muss man die Leseschrift
eigentlich auch schreiben können? Zur Beantwortung fällt dem geneigten
Leser jetzt wohl auch
die Seneca zugeschriebene Kritik (etwa
62 n. Chr)
an der Schule ein: Non
scholae,
sed vitae discimus./Nicht
für die Schule, sondern
für das Leben lernen
wir. Im
Zeitalter der Tastatur muss tatsächlich niemand mehr mit
der Hand Texte
fließend in
Druckschrift schreiben können. Dass
es, wie
oben gezeigt, dagegen
aus vielerlei Gründen ein wichtiges schulisches Ziel bleiben
muss, mit
aller Sorgfalt und
Gründlichkeit - sowie
mit personaler Nähe, d. h. nicht über industriell
vorgefertigte Arbeitsmaterialien ohne individuellen Bezug zum
jeweiligen Kind - eine
geeignete verbundene Schreibschrift zur lehren, hat mit pädagogischer
Verantwortung zu tun. In
den seltenen Fällen, in denen handgeschriebene Druckbuchstaben
erforderlich sind,
z. B. zum Ausfüllen eines Formulars, werden die druckschriftaffinen
Großbuchstaben der Schulausgangsschrift sie ersetzen können:
Formulare
könnten schon Erstklässler mit den druckschriftaffinen
Großbuchstaben
der
'Schulausgangsschrift' lesbar ausfüllen:
Mögliche
Formularabfrage,
geschrieben in Druckbuchstaben
Mögliche
Formularabfrage, geschrieben in
Großbuchstaben der 'Schulausgangsschrift'
Im Übrigen ist davon auszugehen, dass jemand, der regelmäßig handschriftlich Formulare auszufüllen hat - aus den druckschriftaffinen Großbuchstaben der
Schulausgangsschrift
heraus - bald seine eigenen 'Druckbuchstaben' entwickeln wird. Dass
Schülerinnen und Schüler später im Kunstunterricht kreativen Umgang mit
verschiedenenen Schriften - auch mit Druckschriften - haben, ist in
Lehrplänen festgeschrieben, wie z. B. auch in Thüringen, im
Lehrplan Kunsterziehung für Klassenstufe
5/6. Warum deutsche
Kinder im Zeitalter der Computerisierung eine Leseschrift als eine mit
der Hand zu schreibende 'Druckschrift' erlernen
müssen, kann mit
wissenschaftlicher Argumentation nicht gestützt werden. In Frankreich
wurde solchen Überlegungen mit internationaler
empirisch belegter Forschung widersprochen und gefordert: "l’apprentissage
simultané de l’écriture et de la lecture, avec une insistance
sur l’écriture cursive"/"Simultanes
Lernen von Lesen und Schreiben unter Beibehaltung der verbundenen
Schreibschrift". Das
französische Schulministerium (Ministère de l’éducation nationale) hat
2013 die Forderungen aus der Wissenschaft,
die u. a. aus der Langzeitstudie 'P.A.R.L.E.R.'
('Parler
Apprendre Réfléchir Lire Ensemble pour Réussir') resultieren, in entsprechenden
landesweit verbindlichen Erlassen verarbeitet: "Quand les enfants apprennent les lettres cursives, on leur
dit que ce sont les lettres pour écrire pas celles de la lecture, des
livres."/"Wenn die Kinder die
Buchstaben der Schreibschrift lernen, sagt man ihnen, dass das die
Buchstaben zum Schreiben - und nicht die der Lektüre, also der Bücher
sind."
Die französische
Grundschulpädagogik orientiert sich, ihre Verantwortung
für Kinder wahrnehmend, an empirischen Belegen - in Deutschland ist das
seit Jahrzehnten undenkbar. Hierzulande bestimmen clevere
Erfinder und
Entwickler von Lehr-/Lernkonzepten sowie die Bildungsindustrie, was und
wie in der Grundschule unterrichtet wird. Für den Schreibunterricht
hierzulande
heißt
das,
dass man offenbar völlig ignoriert, was - wie oben gezeigt -
durch viele
Studien belegt ist: dass nämlich die Lehre einer tatsächlich verbundenen
Schreibschrift von herausragender
Bedeutung für den weiteren Lernweg wohl der meisten Kinder ist.
Es ist unentschuldbar und
verantwortungslos - Kindern und Eltern gegenüber -, wenn
Schulanfängern erwiesenermaßen
hochwirksame
und erfolgversprechende Unterrichtsinhalte und -verfahren durch
offensichtliche didaktische Fehlentscheidungen vorenthalten
werden. Ohne
jegliche seriöse empirische Grundlage wird Kindern so der Weg
versperrt,
in
einem lehrgangsmäßig durchgeführten und individualisierenden Unterricht
von Anfang an eine verbundene Schreibschrift zu erlernen, was -
wie gezeigt - für sie von schwerwiegender Bedeutung sowohl für den weiteren
Verlauf ihrer Schreibentwicklung als auch für ihre spätere Schreib- und Rechtschreibkompetenz sein kann.
Im Übrigen darf auch dieser Aspekt nicht
außen vor bleiben:
Der Verzicht auf die sorgfältige
Unterrichtung einer verbundenen
Schreibschrift ist
auch als grober Verstoß gegen die Rechte
der Kinder zu sehen.
Siehe auch: Pressemitteilung des Landes Baden-Württemberg vom 15. 12.2016
In einem Brief an die Schulen erteilt die Kultusministerin Susanne Eisenmann Lernmethoden wie 'Schreiben nach Gehör' eine Absage. (http://www.grundschulservice.de/1746594.htm/Text Nr. 23: 'Schreiben nach Gehör'/'Lesen durch Schreiben': Neues zur Rechtschreibwerkstatt des N. Sommer-Stumpenhorst: "eine Mischung aus unterlassener Hilfeleistung und gezielter Irreführung" [Prof. Dr. W. Sendlmeier, Sprachwissenschaftler])