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ERFOLG IN DER SCHULE:
Disziplin ist wichtiger als Grips
Zu
Elternbrief Nr. 2
Gießener Professor testet Methode, Kindern das Lesen
und Schreiben beizubringen / Verquickung mit den Geschäften der Ehefrau
VON PETER HANACK (FRANKFURT)
Das
Ergebnis schien klar. Unter den Kindern, die mit der Fibel Lollipop das
Lesen und Schreiben gelernt hatten, waren zum Ende der 2. Klasse nur
fünf Prozent schwach in der Rechtschreibung. In den anderen Klassen, in
denen die Methode "Rechtschreibwerkstatt" des Diplom-Psychologen
Norbert Sommer-Stumpenhorst getestet wurde, lag die Quote der
rechtschreibschwachen Kinder bei 23 Prozent - fast fünf mal so hoch.
Trotz des eindeutigen Ergebnisses, das die Studie der Universität
Marburg unter Leitung des renommierten Legasthenie-Experten Gerd
Schulte-Körne brachte, lässt das hessische Kultusministerium die
Rechtschreibwerkstatt weiterhin testen. An der Universität Gießen
untersucht eine Arbeitsgruppe um Professor Ulrich Glowalla, wie gut
sich Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten durch Sommer-Stumpenhorsts
Methode verhindern lassen.
An
der Objektivität jener, die die Gießener Studie erstellen, gibt es
allerdings Zweifel. Professor Glowallas Ehefrau ist Geschäftsführerin
der Lerndesign GmbH, die Material für die "Rechtschreibwerkstatt"
herstellt und dieses über den Collishop von Diplom-Psychologe
Norbert-Stumpenhorst im Internet vertreibt.
Ein an der Studie beteiligter wissenschaftlicher Mitarbeiter von
Professor Glowalla, Sascha G., arbeitet außerdem für die Lerndesign
GmbH und das Internet-Forum der "Rechtschreibwerkstatt". Bereits zu
Beginn der Studie zeigt sich Professor Glowalla von der hohen Qualität
der "Rechtschreibwerkstatt" überzeugt: "Ein Kind, das das Programm
durchgearbeitet hat, wird keine Probleme mehr bei der Rechtschreibung
haben", wird er in einem Bericht des Gießener Anzeiger vom 7.
September 2004 zitiert. In Gießen nehmen fast 100 Lehrer an 22 Schulen
an dem Projekt teil, in Marburg waren es lediglich 15 Klassen.
Auf Nachfrage der FR geht das Kultusministerium auf Distanz. Die
Untersuchung in Gießen erfolge nicht im Auftrag des Ministeriums, auch
die personellen Verquickungen seien in Wiesbaden nicht bekannt. Fragen,
wie das Ministerium diese Verquickungen einschätze und ob diese
möglicherweise Einfluss auf die Ergebnisse der Studie haben könnten,
beantwortet eine Sprecherin des Ministeriums mit dem Satz, eine solche
Studie sei vom Ministerium nicht in Auftrag gegeben worden - obwohl auf
der Internetseite der Universität Gießen das Ministerium als
Auftraggeber benannt wird.
Professor Glowalla sagt in einem Telefongespräch mit
der FR, es habe über die Untersuchung "direkte Gespräche" mit
dem Kultusministerium gegeben. Projektnehmer sei das Staatliche
Schulamt für den Landkreis Gießen und den Vogelsbergkreis. Zwischen
Glowallas Forschungsgruppe und dem Staatlichen Schulamt gebe es darüber
eine Kooperationsvereinbarung. Der Leiter dieses Schulamts, Heinz Kipp,
verweigert jede Auskunft zum Thema und verweist auf das
Kultusministerium.
Die Ergebnisse der Marburger Untersuchung, die Lollipop im Gegensatz
zur Rechtschreibwerkstatt als bessere Methode identifiziert hat, sind
bis heute nicht veröffentlicht und lediglich einem kleinen Kreis von
unmittelbar Beteiligten bekannt. Aus dem Kultusministerium heißt es
dazu, die Marburger Studie sei noch nicht abgeschlossen, der
Aussagewert der bisherigen Ergebnisse für eine Veröffentlichung zu
gering. Erste Trends, heißt es, ließen erkennen, dass Lollipop "zum
jetzigen Zeitpunkt das zielführendere Konzept" darstelle.
Der Leiter der Marburger Forschergruppe, Gerd Schulte-Körne, hält die
Zwischenergebnisse dagegen für eindeutig und durchaus belastbar. "Es
ist unstrittig, dass die Rechtschreibwerkstatt nicht so effizient ist
wie Lollipop", sagt er - obwohl Sommer-Stumpenhorsts
"Rechtschreibwerkstatt" wesentlich materialintensiver und damit für die
Schulen auch teurer als viele andere Methoden sei. Das solle, fordert
er, auch "politische Folgen" haben.
Trotz mehrmaliger Anfrage gibt es von Seiten des Ministeriums und des
Staatlichen Schulamts keine Auskunft darüber, wann und durch wen der
Auftrag zur "Rechtschreibwerkstatt" an Glowallas Forschungsgruppe
gegeben worden ist. Auch auf Fragen zu möglichen personellen
Konsequenzen gibt es aus Wiesbaden und Gießen keine Antwort.