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Zu Elternbrief Nr. 2


Aus: Frankfurter Rundschau vom 09.07.2005


Land unterstützt zweifelhafte Lese-Studie

Gießener Professor testet Methode, Kindern das Lesen und Schreiben beizubringen / Verquickung mit den Geschäften der Ehefrau

VON PETER HANACK (FRANKFURT)


Das Ergebnis schien klar. Unter den Kindern, die mit der Fibel Lollipop das Lesen und Schreiben gelernt hatten, waren zum Ende der 2. Klasse nur fünf Prozent schwach in der Rechtschreibung. In den anderen Klassen, in denen die Methode "Rechtschreibwerkstatt" des Diplom-Psychologen Norbert Sommer-Stumpenhorst getestet wurde, lag die Quote der rechtschreibschwachen Kinder bei 23 Prozent - fast fünf mal so hoch. Trotz des eindeutigen Ergebnisses, das die Studie der Universität Marburg unter Leitung des renommierten Legasthenie-Experten Gerd Schulte-Körne brachte, lässt das hessische Kultusministerium die Rechtschreibwerkstatt weiterhin testen. An der Universität Gießen untersucht eine Arbeitsgruppe um Professor Ulrich Glowalla, wie gut sich Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten durch Sommer-Stumpenhorsts Methode verhindern lassen.

An der Objektivität jener, die die Gießener Studie erstellen, gibt es allerdings Zweifel. Professor Glowallas Ehefrau ist Geschäftsführerin der Lerndesign GmbH, die Material für die "Rechtschreibwerkstatt" herstellt und dieses über den Collishop von Diplom-Psychologe Norbert-Stumpenhorst im Internet vertreibt.

Ein an der Studie beteiligter wissenschaftlicher Mitarbeiter von Professor Glowalla, Sascha G., arbeitet außerdem für die Lerndesign GmbH und das Internet-Forum der "Rechtschreibwerkstatt". Bereits zu Beginn der Studie zeigt sich Professor Glowalla von der hohen Qualität der "Rechtschreibwerkstatt" überzeugt: "Ein Kind, das das Programm durchgearbeitet hat, wird keine Probleme mehr bei der Rechtschreibung haben", wird er in einem Bericht des Gießener Anzeiger vom 7. September 2004 zitiert. In Gießen nehmen fast 100 Lehrer an 22 Schulen an dem Projekt teil, in Marburg waren es lediglich 15 Klassen.

Ministerium geht auf Distanz


Auf Nachfrage der FR geht das Kultusministerium auf Distanz. Die Untersuchung in Gießen erfolge nicht im Auftrag des Ministeriums, auch die personellen Verquickungen seien in Wiesbaden nicht bekannt. Fragen, wie das Ministerium diese Verquickungen einschätze und ob diese möglicherweise Einfluss auf die Ergebnisse der Studie haben könnten, beantwortet eine Sprecherin des Ministeriums mit dem Satz, eine solche Studie sei vom Ministerium nicht in Auftrag gegeben worden - obwohl auf der Internetseite der Universität Gießen das Ministerium als Auftraggeber benannt wird.


Professor Glowalla sagt in einem Telefongespräch mit der FR, es habe über die Untersuchung "direkte Gespräche" mit dem Kultusministerium gegeben. Projektnehmer sei das Staatliche Schulamt für den Landkreis Gießen und den Vogelsbergkreis. Zwischen Glowallas Forschungsgruppe und dem Staatlichen Schulamt gebe es darüber eine Kooperationsvereinbarung. Der Leiter dieses Schulamts, Heinz Kipp, verweigert jede Auskunft zum Thema und verweist auf das Kultusministerium.

Die Ergebnisse der Marburger Untersuchung, die Lollipop im Gegensatz zur Rechtschreibwerkstatt als bessere Methode identifiziert hat, sind bis heute nicht veröffentlicht und lediglich einem kleinen Kreis von unmittelbar Beteiligten bekannt. Aus dem Kultusministerium heißt es dazu, die Marburger Studie sei noch nicht abgeschlossen, der Aussagewert der bisherigen Ergebnisse für eine Veröffentlichung zu gering. Erste Trends, heißt es, ließen erkennen, dass Lollipop "zum jetzigen Zeitpunkt das zielführendere Konzept" darstelle.

Der Leiter der Marburger Forschergruppe, Gerd Schulte-Körne, hält die Zwischenergebnisse dagegen für eindeutig und durchaus belastbar. "Es ist unstrittig, dass die Rechtschreibwerkstatt nicht so effizient ist wie Lollipop", sagt er - obwohl Sommer-Stumpenhorsts "Rechtschreibwerkstatt" wesentlich materialintensiver und damit für die Schulen auch teurer als viele andere Methoden sei. Das solle, fordert er, auch "politische Folgen" haben.

Trotz mehrmaliger Anfrage gibt es von Seiten des Ministeriums und des Staatlichen Schulamts keine Auskunft darüber, wann und durch wen der Auftrag zur "Rechtschreibwerkstatt" an Glowallas Forschungsgruppe gegeben worden ist. Auch auf Fragen zu möglichen personellen Konsequenzen gibt es aus Wiesbaden und Gießen keine Antwort.




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